Cressida Kandels dritter Fall

Krimischriftstellerin Cressida Kandel stolpert wieder mal über einen Toten. Diesmal im Kinosaal, Reihe 3, des Zürcher Filmpodiums. Ein Mann wurde ermordet und Cressida muss feststellen, dass es sich bei ihm um einen früheren Geliebten handelt. Cressida wäre nicht die umtriebige, neugierige Person, die sie ist, würde sie die Aufklärung des Falls der Zürcher Polizei überlassen. Wobei ihr diese immer wieder, hauptsächlich in Person von Kommissar Grimm, in die Quere kommt. 

Susanne Mathies neuer Zürich-Krimi mit Cressida Kandel endet mit einer überraschenden Lösung des Falls. Und der Feststellung, dass es so gut wie keine Unschuldslämmer im Kreis jener gibt, die in diesem Kriminalfall eine Rolle spielen. Da tauchen zum Beispiel eine ehrgeizige Schauspielerin auf, ein Regisseur, der es mit den Steuern nicht so genau nimmt, ein Investor mit Konten auf den Bahamas, mindestens zwei Kaufsüchtige, ein erpresserischer Journalist plus ein paar Drogenhändler. Auch ein freundlicher Kleingartenvereinspräsident ist dabei, der es jedoch mit den Regeln des eigenen Vereins nicht allzu genau nimmt. Und mittendrin eine schräge, überspontane Cressida, die fast jeden Mann, der ihr begegnet, auf Partnertauglichkeit abcheckt. 

Titel: Mord im Filmpodium, Krimi, 245 Seiten, Taschenbuch

Autorin: Susanne Mathies

Verlag:  Gmeiner, 2023

ISBN 978-3-8392-0493-1, 14 Euro/21.90 Franken

Kurz zusammengefasst: Cressida Kandel ist eine filmbegeisterte Krimischriftstellerin in Zürich. Doch dann wird im Filmpodium eine alter Bekannter von ihr ermordet und sie gerät selbst unter Verdacht. Cressida hält nicht viel von der Ermittlungsarbeit der Polizei und nimmt die Aufklärung selbst in die Hand. Ob das klug ist? Und wie immer mit Tempo durch Zürichs Strassen und Kleingärten.

Für wen: Zürich-, Film- und Krimifans

Negieren bis zum Explodieren

Anhand eines tatsächlich geschehenen grauenhaften Mordes, fragt sich der Autor Nicola Lagioia, inwieweit der Ort, an dem wir wohnen die menschlichen Handlungen beeinflusst. 

Die Tötung eines jungen Römers wurde an einem Märzmorgen des Jahres 2016 entdeckt. Lagioia beschreibt die Stadt als Moloch, in der das Chaos omnipräsent ist und in der sich jeder irgendwie durchwurstelt. Der Schwierigkeiten sind viele: ein politisches Wirrwarr, das eher Probleme schafft, als sie zu lösen versucht; eine nicht funktionierende Müllabfuhr samt Rattenplage biblischen Ausmasses; Verkehrschaos; Drogen; Korruption; Kriminalität. Und zwischen all dem der Mythos von der ewigen Stadt mit ihren baulichen und geschichtlichen Besonderheiten, derentwillen die Touristen anreisen.

Die Stadt der Lebenden ist kein Buch, das man vor dem Schlafengehen lesen sollte. Die Geschichte handelt vom unbegreifbar Dunklen und Bösen, zu dem wir Menschen fähig sind. Nicola Lagioia hat sich jahrelang und, wie er schreibt, obsessiv mit dem Mord an Luca Varani, einem dreiundzwanzigjährigen Jungen aus einem Römer Randbezirk, beschäftigt. Lucas Mörder waren Manuel Foffo und Marco Prato, beide etwas älter als Luca, beide aus guter Familie. Luca kam in der Wohnung von Manuel Foffo zu Tode, nachdem die beiden Täter ihn stundenlang gequält hatten. Einen Grund für ihr Handeln, sofern es denn für Mord eine Rechtfertigung gibt, hatten sie keinen. Dem Ermittlungsteam bot sich ein Bild des Grauens. Die Tat bot den Römern monatelang Stoff für Entsetzen, Berichterstattungen, Mutmassungen, Geschwätz, Schuldzuweisungen.

Nicola Lagioia hat sich zu Beginn als Journalist mit dem Fall beschäftigt. Das Buch liest sich als eine Art Feature oder Reportage. Für den Autor dürfte es eine Art Punkt hinter eine Geschichte sein, die ihn persönlich sehr betroffen gemacht hat und ihm lange Zeit keine Ruhe liess. Am Ende sind die aufgeworfenen Fragen nicht beantwortbar, auch wenn Lagioia sie von allen möglichen Seiten her und intelligent beleuchtet.

Der Autor hat Gutachten gelesen, Beteiligte befragt, Familienmitglieder, Beamte, Freunde usw. Er hat das Umfeld der drei jungen Männer durchleuchtet und versucht zu verstehen. Er schreibt, dass diese Geschichte nur in Rom passieren konnte. Ich wage ihm zu widersprechen. Die menschliche Natur weist Abgründe auf, die sich überall auftun können. Unnötig, einzelne Gräuel aufzuzählen, die ganz offensichtlich nur in völliger Abwesenheit von Mitmenschlichkeit und Verstand geschehen sind. Doch es braucht gewisse Voraussetzungen, damit sich das Böse manifestieren kann. Im Falle Luca Varani waren es zwei junge Männer, die mit ihrem Leben nicht zu Rande kamen, Drogen, eine aufgestaute Wut und vielleicht auch eine Stadt, in der das Explodieren ebenso zum Alltag gehört wie das Negieren. Eines der intensivsten Bücher, die mir dieses Jahr begegnet sind.

Titel: Die Stadt der Lebenden, 512 Seiten

Autor/Autorin: Nicola Lagioia, aus dem Italienischen von Verena von Kaltbach

Verlag:  btb, 2023

ISBN 978-3-442-75960-6, SFr. 34.90/ 26.50 € 

Kurz zusammengefasst: Rom, eine Stadt am ständigen Rande des Zusammenbruchs an einem ganz gewöhnlichen Märzmorgen. Doch ein junger Mann liegt grausam ermordet in einer Wohnung. Nichts hat zuvor auf die Tat hingewiesen und auch im Nachhinein bleibt sie unerklärlich. Eine wahre Horror-Geschichte, ein eindringlicher Versuch, abseits von Sensationsgeilheit Antworten zu finden. Definitiv nichts für unter den Christbaum!

Für wen: Jene, die es noch nicht aufgegeben haben, die menschlichen Abgründe verstehen zu wollen, welche sich hinter ganz normalen Gesichtern auftun

Jetzt also doch noch zum Triebtäter!

Das Buch unter dem Titel Sirenengesang wird vom Verlag unter dem Genre Kriminalroman vertrieben. Geschrieben hat es Artur Kilian Vogel. Die Genrebezeichnung muss hier wohl weiter ausgelegt werden, denn wir haben es hier nicht mit einer klassischen Täter-Spürnasen-Handlung zu tun, sondern mit einer Story, in welcher der Täter erzählt und erzählenderweise gleich seine Taten zu rechtfertigen versucht.

Kommt uns die erzählende Hauptfigur auf den ersten Seiten noch als gewöhnlicher Mann entgegen ­– ein wenig unscheinbar, einsam vielleicht und unsicher – so muss dieses Bild bald revidiert werden. Im «Sirenengesang», einem Esslokal, beobachtet dieser Mann ein Paar, wobei ihm vor allem die Frau, eine elegante Rötlichblonde, ins Auge sticht. Was darauf folgt, würde man heute als Stalking betiteln, mir liegt das Wort Hasenjagd aber deutlich näher. Der Protagonist ist ein Getriebener, ein Jäger, der seine Opfer vor sich hertreibt, so lange, bis sie ihm vor die Füsse fallen. Er hat ein durch und durch gestörtes Verhältnis zu Frauen, ist aber intellektuell durchaus fähig, seine Handlungen zu analysieren.

Was der Autor hier versucht, ist die Typologie eines Triebtäters aufzuzeigen: verknorzte Kindheit; kaum gesellschaftlichen Umgang; total gestörtes Frauenbild; Intelligenz, die es erlaubt, seine Taten vor sich selber zu rechtfertigen und das Rechtssystem ­– wenigstens eine zeitlang  – auszuhebeln. Vor allem aber fällt auf, dass Frauen als Verführerinnen (Sirenen) gesehen werden. Sie werden auf ihre weiblichen Attribute reduziert und sind im übrigen da, männliche Lust und Besitzansprüche zu befriedigen. Pech nur für sie, wenn sie ihren Willen haben und eigene Vorstellungen von einer 
Beziehung. 

Erzählt wird die Geschichte aus der Sicht des Triebtäters. Auf seinen Streifzügen durch die Stadt, immer mit dem Gedanken, die Frau, die er im «Sirenengesang» gesehen hat, zu treffen und an sich zu binden, denkt er an seine Kindheit und Jugend, seine schlimmen Erfahrungen mit Frauen, an den Vulkan, der in ihm brodelt. Und da sind seine Ausbrüche, die ihn schon einmal vor Gericht geführt haben.

Was will die Geschichte? Verständnis schaffen für Männer, die Frauen vergewaltigen und töten? Ich hoffe sehr, dass dies nicht in der Absicht des Autors lag. Ich wäre trotzdem gerne dahintergekommen, was mir diese Story bringen soll. Nun mögt ihr einwenden, dass Krimis eigentlich kaum je «etwas bringen». Und dabei will ich es denn auch belassen. 

Titel: Sirenengesang, gebunden, 153 Seiten

Autor: Artur Kilian Vogel 

Verlag: Cameo, Bern, 2023

ISBN 978-3-03951-032-0, Fr. 21.90/Euro 19.30

Kurzbeschrieb/-bewertung: Ein Mann verfolgt über Wochen eine Frau, von der er überzeugt ist: Sie gehört zu ihm. Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht möchte sie nichts mehr von ihm wissen. Das kommt nicht gut an. 

Für wen: Getriebene in Sachen Krimilesen.

Wo nicht mehr gestorben wird, wird gemordet

Das Thema des Thrillers Die Verheissung von Petra Ivanov ist aktueller denn je: Es gibt sie, die Wissenschafter, Konzerne und Glücksritter, die ewige Jugend verheissen, wenn nicht jetzt, dann zumindest in naher Zukunft. Auf den Zug sind auch schon längst die Grossverteiler aufgesprungen: Mittlerweile sind die Gestelle mit Vitalstoffen und anderem Zeug, das unsere Leistung optimieren und uns körperlich fit erhalten soll, gefühlt schon so lang wie diejenigen für Katzen- und Hundefutter. Andernorts werden Körper konserviert und Computer sollen unseren Geist ersetzen. Für manche Forscher ist der Tod nichts weiter als ein technisch lösbares Problem. Mit dem sich obendrein viel Geld verdienen lässt. 

Schon allein der Gedanke an ein Leben ohne Ende lässt einen erschauern, also liegt es nahe, das Thema für einen Thriller zu wählen. Petra Ivanovs Hauptfigur Julia, die als Übersetzerin in Amerika lebt und alles dafür tut, ein möglichst unauffälliges Leben zu führen, wird ohne Vorwarnung in Machenschaften um das ewige Leben hineingezogen. Ihr Sohn ist verschwunden, Julia wagt sich aus der Deckung. Doch die Gegner, die sich ihr in den Weg stellen, sind mächtig und vor allem skrupellos. Sie schrecken selbst vor Mord und der Gefährdung kleiner Kinder nicht zurück.

Petra Ivanovs Thriller ist süffig geschrieben, das Thema packend. Julias widerwilliger Roadtrip quer durch die USA hat alles, was ein Thriller benötigt, Tempo, Spannung und die nötigen Wendungen. Leider hört er an der spannendsten Stelle auf: Sohn Michael ist immer noch nicht gefunden. Ärgerlich, ich bevorzuge in sich abgeschlossene Geschichten. Doch der nächste Band der Trilogie bringt dem Leser bestimmt Erleichterung, und es ist zu hoffen, dass er nicht wieder mit einem Cliffhanger enden wird, der zu Teil III der Serie verführen soll.

Titel: Die Verheissung, Thriller, 330 Seiten, Paperback

Autor: Petra Ivanov

Verlag:  Unionsverlag, 2023 

ISBN 978-3-293-00596-9, SFr. 26.-/ 19.– € 

Kurz zusammengefasst: Julias Sohn Michael verschwindet just in dem Moment, als er sich seiner Mutter wieder annähern will. Seine letzten Kontakte hatte er mit Wissenschaftern, die sich mit lebensverlängernden Massnahmen befassen. Julia, die sich auf die Suche gemacht hat, gerät unter Wölfe im Schafspelz und muss gleichzeitig doch versuchen, ihr eigenes Geheimnis zu schützen. 

Für wen: Für Thriller-Fans, die genug lange leben, um auch das Erscheinen von Band II und III der Trilogie abwarten zu können. Das dürfte Frühling und Herbst 2024 der Fall sein.

Ganz und gar nicht heile Welt

Lovelock und Pym sind weder im Showbusiness noch eine Putzfirma. Die beiden sind australische Auftragskiller. Allerdings nicht die hellsten. Man wundert sich, dass sie noch nicht erwischt wurden, denn bei dem Auftrag, den sie von ihrem Boss, einem Drogenbaron, erhalten haben, stellen sie sich selten dämlich an. Was Wunder, dass sie in einem Buschfeuer enden. Allerdings erst, nachdem sie ihren Mordauftrag übererfüllt haben. 

Und so bekommen es Inspector Hal Challis und sein Team gleich mit mehreren Fällen zu tun. Zwei Unbekannte Tote im abgebrannten Busch, entwendete Landmaschinen, eine ausgebrannte Christal-Meth-Küche, ein verschwundenes Kind sowie sein gleichfalls verschwundener Vater, ein Erschossener in einem abgelegenen Haus, mehrere Vergewaltigungsfälle ­– und so ganz nebenbei treibt sich auch noch ein dubioser Geheimagent durch die Geschichte. Hals Team ermittelt in alle Richtungen. Was bei der Fülle von Fällen nicht verwundern sollte. Als wäre das nicht genug, kommt Hal Challis auch noch das Drogendezernat mit der taffen und attraktiven Kollegin Coolidge in die Quere. Von Ellen, Hals Freundin, wird sie nur Cool Bitch genannt. Das hat seine Gründe.

Garry Dishers neuster Krimi Funkloch lässt weder seine Ermittler noch seine Leser zu Atem kommen. Dass es zwischen den Kriminalfällen Querverbindungen gibt, ist bald klar. Den Polizisten in diesem Roman gelingt – nachdem sie einiges an gedanklichen, gefühlsmässigen und echten Haken geschlagen haben ­­­– die kriminalistische Entwirrarbeit natürlich. Ganz nebenbei erfährt man als Leser so einiges über nicht so schöne gesellschaftliche Zustände im ländlichen Australien.  

Einen Autor, dem ein solches «Gnusch im Wullechörbli» zu entwickeln, zu überschauen und zu entwirren gelingt – und dabei die Spannung aufrechterhält ­– kann man eigentlich nur bewundern. 

Titel: Funkloch, Kriminalroman, 350 Seiten, gebunden

Autor: Garry Disher, aus dem Englischen von Peter Torberg

Verlag:  Unionsverlag, 2023

ISBN 978-3-293-00605-8, SFr. 32.–, 24.– € 

Kurz zusammengefasst: Christal Meth ist allgegenwärtig, neuerdings auch «unten in Victoria». Die australische Polizei und ihr Vertreter Hal Charris hat alle Hände voll zu tun, die Drogenköche und raffinierten Kuriere zu verfolgen. Doch Hals Team hätte eigentlich auch andere Arbeit: Es verschwinden ständig teure Landmaschinen, und ein Buschbrand bringt ein paar Leichen zutage. Ein kriminalistisches Durcheinander, das es erst mal zu durchschauen, einzuordnen und dann zu entwirren gilt. So ganz nebenbei haben die Mitglieder des Ermittlungsteams aber auch private Sorgensörgeli. Spannend und manchmal auch zum Grinsen.

Für wen: ohne Krimi geht die Mimi nie ins Bett …

Strampeln bis der Tod einen einholt

Sport, Radsport insbesondere, ist nun wirklich nicht gerade meine Paradedisziplin. Ich erinnere mich aber, dass wir als Kinder die Durchfahrt der Tour de Suisse unbedingt erleben wollten und gefühlte Ewigkeiten am Strassenrand warteten, nur um ein paar Begleitfahrzeuge zu erleben und – wuschwusch, das waren sie auch schon gewesen, die Helden der Landstrasse.

Dass so eine Tour aber auch spannend sein kann, hat mir eben erst Jorge Zepeda Patterson beigebracht. Vor allem für jeden, der so eine Tour mitfährt. Das schwarze Trikot ist ein Tour-de-France-Krimi, den man gar nicht mehr aus den Händen legen will. Nebenbei habe ich gelernt, dass es gar nicht darum geht, den allerbesten Radfahrer gewinnen zu lassen. Gewinnen wird der, der das beste Material hat, den finanzkräftigsten Stall und vor allem die besten Helfer und Zuarbeiter. 

So ein Helfer ist Marc Moreau. Schon als Kind hatte er nur ein Ziel, Radprofi zu werden. Mit Verbissenheit ist er endlich an seinem Ziel angelangt. Er ist in einem der besten Rennställe Frankreichs angestellt und fährt nun die Tour de France mit. Allerdings, dies die Vorgabe seines Rennchefs, soll er nicht gewinnen. Sieger soll sein Freund Steve Panata werden. Doch die Tour ist von seltsamen Unglücksfällen überschattet. Es sieht ganz danach aus, als würde jemand den Ausgang des Rennens mit allerübelsten Mitteln beeinflussen wollen. Marc, der einmal bei der Militärpolizei war, soll herausfinden, wer hinter den Anschlägen steckt.

In rasendem Tempo fahren wir als Leser mit Marc mit. Kilometer um Kilometer stecken wir mehr in seinen Gedanken, die sich darum drehen, wie er Steve am effizientesten durch die Tour bringt. Aber auch, wie er herausfinden kann, wem er trauen kann und wem nicht. Die Liste der Verdächtigen ist lang und so wackelig wie die Liste der möglichen Tour-de-France-Sieger. Wir sehen die Zweifel in Marc wachsen. Und seinen inneren Widerstand gegen die eigenen Ermittlungen. Innerhalb des Zirkus kennt man sich und trotz der Konkurrenz respektieren sich die Sportler. Kommt dazu, dass Marcs Freundin und ein alter Förderer Marc einen zusätzlichen Floh ins Ohr setzen: Es wäre an der Zeit, dass Marc seine Skrupel über das Strassenbord wirft und selber das Siegestrikot anstrebt. Soll Marc seinen Freund Steve verraten? Das radfahrerische Potential hätte Marc und Steve auszubooten wäre auch nicht so schwer …

Der Roman nimmt einige halsbrecherische Kurven. Vor allem gelungen fand ich aber den Blick in die Psyche von Marc, seine Gedanken über Loyalität und wie leicht sich diese zerstören lässt. Auch die Informationen aus dem Inneren des Tour-Zirkusses sind wirklich spannend, selbst für Leute, die sonst nur am Strassenrand stehen und auf die Durchfahrt der Helden warten.

Titel: Das schwarze Trikot, Krimi, 409 Seiten, gebunden

Autor: Jorge Zepeda Patterson, übersetzt von Carsten Regling

Verlag:  Elster, 2023

ISBN 978-3-906903-21-7 , SFr. 35.90.–, 25.90.– € 

Kurz zusammengefasst: Ein Krimi in Etappen: Wen erwischt es als nächsten auf er Tour de France. Ein Mörder geht um. Und er kennt sich aus, weiss wo er zuschlagen muss. Marc Moreau ist ein Fahrer in einem renommierten Rennstall. Er soll herausfinden, wer die Tour beeinflussen will. Doch Marc hat eigentlich ein anderes Ziel: Er soll seinem Freund Steve helfen, die Tour zu gewinnen. Will er das überhaupt? Meiner Meinung nach der beste Krimi von Jorge Zepeda Patterson.

Für wen: Für Sportfans ein Muss, für Krimifans mal was ganz anderes, auf jeden Fall eine rasante Fahrt.

Zürich: Wo Kaffeemaschinen beim Morden helfen

Florian Berger hat genug. Seine Lebenspartnerin hat ihn vor die Türe gesetzt, er ist so gut wie pleite und seit zu langer Zeit sitzt er vor dem ersten Kapitel seines neuen Romans. Über den ersten Absatz kommt er allerdings nie hinaus. Und jetzt hat er sich im Zürcher Hotel Schwanen eingecheckt. Entweder das mit dem Schreiben läuft jetzt wieder oder er wird sich umbringen. 

Susanne Mathies hat in ihrem neuen Krimi Mord mit Limmatblick einen urzürcherischen und überdies renommierten Schauplatz gewählt: das Hotel Storchen an der Limmat, wohl eines der meistfotografierten Sujets der Limmatstadt. Susanne Mathies Antiheld Florian Berger kommt nicht sehr weit mit seinen Plänen: Während er seinen Selbstmord in Szene setzt, wird im Nebenzimmer eine Frau angeschossen. Florian Berger wird verdächtigt, die Tat begangen zu haben. Die Frau ist nicht irgendwer, sondern Florians Ex-Partnerin Lena. Was folgt ist eine Hetzjagd durch Zürich und mitten hinein in Mord und mafiöse Machenschaften rund um Immobilien und Drogen. Hilfe bekommt Florian von seiner Kollegin Cressida Kandel.

Susanne Mathies hat erneut einen temporeichen Zürich-Krimi geschrieben, in welchen sie nicht nur Lokalkolorit sondern auch ein aktuelles, brisantes Thema hineinpackt: in die Jahre gekommene Häuser, die auf die Schnelle von ihren Mietern «befreit» werden sollen. Dass man dafür Kaffeemaschinen einsetzen kann, auf die Idee wäre ich noch nicht gekommen. 

Titel: Mord mit Limmatblick, Krimi, 246 Seiten, Paperback

Autorin: Susanne Mathies

Verlag:  Gmeiner, 2022

ISBN 978-3-8392-0285-2 , SFr. 19.10 / 15.– € 

Kurz zusammengefasst: Hinter der schönen Fassade des Hotel Storchens in Zürich geschehen unfassbare Dinge. Der erfolglose Autor Florian Berger ist zur falschen Zeit mit den falschen Absichten am falschen Ort. Und sollte jetzt beweisen, dass er kein Mörder ist.

Für wen: Zürcher Eiltempo für Krimifans.

Mit Gesichtsmaske in Athen unterwegs

Petros Markaris hat für seinen neuesten Kostas-Charitos-Fall Verschwörung die Stimmung in Athen während des Corona-Lockdowns gewählt. Dass die belastende Situation des Eingeschlossenseins mit all ihren verstörenden Nebenwirkungen den Weg in die Literatur finden würde, war sofort klar. Der Gedanke der Umsetzung des Themas in Form eines Krimis allerdings wirkte auf mich im ersten Moment ungewöhnlich. Allerdings fand ich dann in Verschwörung noch ganz andere gesellschaftliche Themen angeschnitten. 

Zum Inhalt: Geschäfte und Restaurants sind zu, zahlreiche Menschen in Athen wissen buchstäblich nicht, wovon sie leben sollen. Kostas Charitos, Hauptkommissar bei der Mordkommission in Attika, wird plötzlich mit ungewöhnlichen Selbstmorden konfrontiert – dies in einer Zeit, in der selbst Athens Mörder im Lockdown zu sein scheinen und man die Zeit in Athens Mordkommission mit Däumchendrehen verbringt. Viel lieber als zu ermitteln, würde Charitos sich um seinen Enkel kümmern und sich von seiner Gattin bekochen lassen. Doch zu den Selbstmorden kommt plötzlich ein Überfall auf einen Impfstofftransport. Der Fahrer des Transporters kommt dabei zu Tode. Charitos ermittelt in Milieus, die gegensätzlicher nicht sein könnten: auf der einen Seite einst engagierte, nun desillusionierte Altsozialisten, auf der anderen junge, agile Aktivisten der Corona-Leugner-Szene. 

Links gegen rechts; Arme gegen jene, die aus jeder Krise einen Gewinn ziehen; betagt und der Gesellschaft verbunden versus jung, gut ausgebildet, aber mit Mangel an Herzensbildung: der Krimi thematisiert die Gegensätze, welche sich durch Gesellschaft, Familien, Arbeitswelten ziehen. Dies mit viel griechischem Lokalkolorit und Gesichtsmaskenatmosphäre.

Autor: Petros Markaris

Titel: Verschwörungein Fall für Kostas Charitos, Krimi, Aus dem Griechischen von Michaela Prinzinger

Verlag:  Diogenes, 2022, gebunden, 277 Seiten

ISBN 978-3-257-07212-9, 25.­– Euro/34.– Franken

Kurz zusammengefasst: Krimi à la grec, Athen während des Lockdowns. Erst gibt es eine seltsame Selbstmordserie, dann werden Impfstofflieferungen vernichtet. Kommissar Kostas Charitos muss sich mit gnadenlosen Verschwörungstheoretikern, depressiven Altsozialisten und einem nervös gewordenen Minister herumschlagen. Er tut dies ohne Hetze und indem er Familie und Freunde zu Rate zieht.

Für wen: Ffür alle, die nackte Brutalität und Action langweilig finden und dafür mehr mit Familie, Lokalkolorit, unaufgeregten Ermittlungen und beinahe liebenswerten Bösewichten anfangen können.

Wie es dazu kommen kann, dass der Thunersee absäuft

Mit Pascal Gschwind geht es rasant abwärts. Das sieht er selber natürlich anders. Er hat einen neuen, ihm viel abverlangenden Job bei Valnoya angefangen. Valnoya ist weltweit im Minengeschäft tätig. Und gerade eröffnet sich Pascal Gschwind eine Möglichkeit, rasch die Karriereleiter hochzuklettern und einen Sack voll Geld nach Hause zu tragen: Am Beatenberg wurde Recapitanium gefunden. Der Kanton Bern veranlasst gegen die Warnung von Spezialisten und Umweltschützern Sondierbohrungen. Derweil gibt Valnoyachef Hiller Gschwind den Auftrag, für die Firma jenes Grundstück zu erwerben, unter welchem sich die wunder- und kostbare Recapitanium-Mine befindet. Da wird Pascal Gschwind gleich erfinderisch und nimmt es mit den geltenden Landerwerbbestimmungen nicht so genau. Wäre doch schön, wenn er zu seinem Tesla das passende Boot hätte, um auf dem Thunersee herumzukurven. Während Geschwind sich ein Diplom als Landwirt bastelt, beschäftigt sich seine Ehefrau Rina mit Joga, Achtsamkeit und anderen schönen Dingen, indes sein Sohn Levin eine Umweltorganisation namens Back to the fruits gründet und die Schule schmeisst. Als ob Pascal Gschwind mit seinem «sustainability report» und den Umweltsünden eines peruanischen Valnoya-Betriebs nicht schon genug um die Ohren hätte. 

Soweit ein Anriss der temporeichen, fabelhaften Geschichte, die Urs Mannhart unter dem  etwas umständlichen Titel Gschwind oder das mutmasslich zweckfreie Zirpen der Grillen, erschienen beim Secession-Verlag, verfasst hat. Der Autor lässt uns seinen Gschwind so richtig schön ans Herz wachsen, denn trotz all seiner Karrieregeilheit und seines Wirtschaftsverträglichkeitsgeschwafels hat Pascal Geschwind auch menschliche Seiten. Ob am Ende Umwelt, Allgemeinwohl und Familie mehr wiegen als Geld und Macht, dafür muss man diesen köstlichen, aberwitzigen Roman schon selber lesen. Langweilig wird es jedenfalls nicht. Ausserdem: nach all dem virusbedingten schlechten Nachrichten darf man sich schon wieder mal mit den besorgniserregenden Nachrichten rund um den Planeten Erde beschäftigen (und sich in allen Farben vorstellen, was passiert, wenn der Thunersee absäuft). Mannhart legt mit Beobachtungsgabe und feiner Ironie offen, wie wir es mit Negation und argumentativ unterstütztem Selbstbetrug vermeiden, uns näher mit Themata zu beschäftigen, die uns eigentlich unter den Nägeln brennen sollten.

Titel: Gschwind oder Das mutmasslich zweckfreie Zirpen der Grillen, Roman, 286 Seiten, gebunden

Autor: Urs Mannhart

Verlag:  secession Verlag, Berlin, 2021

ISBN 978-3-96639-039-2, Fr. 30.­–, Euro 23.­–

Kurz zusammengefasst: Raffgier und Machthunger bringen nicht nur Gschwinds Leben durcheinander, sondern auch die Berner Alpen ins Wanken. Süffig zu lesen, ironisch, phantasievoll aber als mögliches Szenario leider, leider nicht allzu abwegig. 

Für wen: Kann ich einfach allen empfehlen.

Zürichs Mordserie geht weiter

Auf der Zugfahrt von einer Buchpräsentation versank ich gestern förmlich in einem Krimi. Der Titel: Mord im Lesesaal, die Autorin: Susanne Mathies; dies ist bereits ihr vierter Zürich-Krimi. Leider, leider war meine Zugfahrt nicht lange genug, ich werde das Ende der packenden Story heute lesen müssen. Zum Glück stürmt der Föhn draussen durchs Land, so dass einem gemütlichen Kriminachmittag auf dem Sofa nichts im Wege steht. 

Tatort ist der ehrwürdige Lesesaal der Zürcher Museumsgesellschaft am Limmatquai. In diesen Raum gelangen sonst nur Mitglieder. Doch jetzt sitzt dort in einem roten Lesersessel ein unappetitlicher alter Mann, auf dem Teppich unter seinen Füssen breitet sich eine rote Blutlache aus. Die anwesende Krimiautorin Cressida Kandel nimmt sogleich die Ermittlungen auf, denn die Züricher Polizei hat gerade Besseres zu tun, als sich um einen Toten zu kümmern. 

Cressida Kandel ist eine Falllöserin nach meinem Geschmack. Durchsetzungsstark, selbstbestimmt, mal mit Charme, mal mit Witz lenkt sie die Ermittlungen. Dazu berechtigt sie sich gleich selber, hat sie doch „durch ihre Tätigkeit als Krimiautorin am meisten Erfahrung mit Polizeiarbeit“ und weiss, wie ein Täter tickt. Verdächtig sind eine Handvoll Personen, von denen Cressida schon vor dem Mordfall gedanklich ein Figurenprofil angelegt hat. Ich bin mal gespannt, wie weit sie damit kommt, ohne von den anderen im Lesesaal Anwesenden selbst verdächtigt zu werden.

Auch die anderen Figuren der Geschichte haben es in sichl: Da wäre zum Beispiel die Saalaufsicht Karin, die mit der Mordwaffe in der Hand ohnmächtig aufgefunden wurde. Oder Martin Leemann, der Sohn des verschwundenen Schriftstellers Solomon Leemann. Irgendwie nämlich scheint der gruselige Tote mit Solomon in Verbindung zu stehen. Schnell sind ein paar Thesen zur Hand, es wird mit dem Finger auf andere gezeigt, immer nach dem Motto: Schuldig ist der andere. 

Weiter gefällt mir der Schauplatz ausnehmend gut: Ein Ort, an welchem sich lauter anscheinend distinguierte Menschen treffen, ein Ort mit Historie, einen Steinwurf entfernt von den touristischen Hauptattraktionen Zürichs, ein Ort, an welchem man als Letztes einen Mord an einem vergammelten Alten erwarten würde. Die Geschichte ist süffig geschrieben, nimmt die lokalen Gegebenheiten aufs Schönste auf und liebevoll ein wenig auf die Schippe.

Hier schreibt eine Autorin, die ihren Wohnort mag, aber auch dessen Schwächen kennt.

Titel: Mord im Lesesaal, Krimi, 281 Seiten, Paperback

Autorin: Susanne Mathies

Verlag:  Gmeiner, Messkirch, 2021

ISBN 978-3-8392-0054-4

Euro 13.00, Fr. 19.90

Kurz zusammengefasst: Eine taffe Krimiautorin und Writer in Residence auf der Pirsch nach neuen Geschichten und einem Täter. In Zürichs Touristenquartier angesiedelt. An einem Ort, an dem Touristen nichts verloren haben. Zügig und mit Witz geschrieben.

Für wen: Für Agatha-Christie-Fans und alle, die nächstens mal nach Zürich müssen. (Wenn sie jemanden kennen, der jemanden kennt, dürfen sie vielleicht auch einen Fuss in den Lesesaal setzen. Der Blutfleck unter dem roten Sessel wurde so gut es geht entfernt.)