Sternekoch Heston Blumenthal stellt sich und uns bereits im Titel seines beim at-Verlag erschienenen Buchs schelmisch die Frage, ob das jetzt ein Kochbuch sei. Blumenthal besitzt ein Restaurant an bester Londoner Lage. Chefs seines Formats leiden selten an Selbstzweifeln, sonst wären sie kaum dahingelangt, wo sie sich befinden. Und nun stellt sich dieser Chef die Frage, ob das, was er uns vorlegt, ein Kochbuch sei! Interessant, dachte ich, und liess mir vom Verlag, der mir äusserst wohlgesonnen ist, den Titel Ist das ein Kochbuch, Abenteuer aus der Küche zusenden.
Was habe ich erwartet? Rezepte natürlich, am liebsten etwas mit Raffinesse, ein paar Kochtipps vom Profi, die eine oder andere Geschichte aus der Küche eines Tausendsassas. Was ich nicht erwartet habe: Dass mir einer, der offenbar kochen kann, etwas von Quantengastronomie vorschwafelt in der Meinung, die Küche neu erfunden zu haben. Doch dazu später mehr.
Die Frage an mich lautet: Was suche ich in einem Kochbuch? Überraschende Rezepte, für deren Zubereitung ich nicht von Pontius zu Pilatus laufen muss, um alle Zutaten zu bekommen. Rezepte auch, die ich abändern kann. Rezepte die meinen Horizont dehnen; auch meine handwerklichen Fähigkeiten dürfen herausgefordert werden; mein Geschmack, meine Vorstellungsfähigkeit soll sich erweitern.
Wenn ich Blumenthals kunstvoll typographisch gestaltetes Buch durchblättere, so finde ich hauptsächlich schlichte Rezepte: Sandwiches, Dips, sogar Käsenudeln tischt mir der Sternekoch auf. Nun habe ich nichts dagegen, Klassiker nach einem Sternekochrezept auszuprobieren. Aber ehrlich: Käsenudeln, Fish and Chips und Salatsaucen, Bratkartoffeln, Yorkshire Pudding, Omeletten!
Alles gut und fein, aber doch eher für Leute, die sich erstmals eine Küchenschürze umbinden und dabei von einem lernen wollen, der kochen kann. Daran ist nichts falsch.
Pastillen und Grillen
Doch dann hält Blumenthals Buch auch Überraschendes bereit: Randenpastillen zum Beispiel, die nach Johannisbeere schmecken. Panna Cotta mit Hanf und ein Dessert aus Sherryessig. Grillen!
Grillen gehören für mich eher in Gedichte als in Gerichte. Ich halte aus der Küche alles fern, was nach Maden und Insekten aussieht, da können sie noch so nussig schmecken. In der Hinsicht wird sich bei mir nicht mehr ändern. Wer aber gerne solche Sachen ausprobiert, findet bei Blumenthal einige Rezepte von Brühen bis Kecksen. Der Koch scheint auch ein Fan von Fermentation zu sein. Meine Experimente in dieser Richtung resultierten bis jetzt in zu salzigen Radieschen und höllischem Kimchi. Daran trifft Blumenthal nun wirklich keine Schuld. Mein Rat ist einfach: Wenn Sie in Fermentationsexperimente einsteigen, seien sie misstrauisch bei den Salz- und Chiliangaben ihrer Rezepte!
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Ist das jetzt Philosophie, ein Quantensprung oder einfach nur hochgestochenes Geplapper?
Blumenthal widmet dem Thema Raita/Tsaziki ein Kapitel seines Buchs. Ich bin ein Fan von Joghurtdips und -salaten. Kennen und lieben gelernt habe ich diese erfrischende Art der Joghurtzubereitung vor Jahrzehnten bei einer aus Persien stammenden Freundin; ich weiss aber nicht mehr, wie ihr Salat, für den sie Gurke und Pfefferminze ins verdicktes Joghurt schnippelte, auf Farsi genannt wurde. Mittlerweile stelle ich Joghurtsaucen in diversen Abwandlungen her, momentan ist mein liebster Dip einer mit Knoblauch und Estragon. Rezepte findet man zur Genüge, die erfrischenden Saucen/Salate sind von Griechenland bis weit in den Osten beliebt, und werden gerne eingesetzt, um die Schärfe einiger Gerichte abzumildern. Soweit so gut. Ich ärgere mich aber, wenn jetzt ein Sternekoch kommt, um «Raiziki» zuzubereiten und mir was von Quantenrezept erzählt.
Quantenküche? Laut Blumenthal soll das in etwa beschreiben, was in einer Küche neben den Aktivitäten, die notwendig sind, um eine Speise zuzubereiten, auch noch passiert: Düfte, die Emotionen wecken, Spass am Werken und die Lust, Zutaten so zu verändern und zu kombinieren, dass etwas Neues entsteht, Erinnerungen, die dabei auftauchen, Gedanken und Phantasien, die damit einhergehen. So neu ist daran nichts. Es ist im Gegenteil genau das, was Menschen immer noch dazu bringt, ihre Kochkünste zu erweitern.
Es wird gesagt, Blumenthal habe die Küche auf eine neues Level gehoben, er wird sogar als „bester Koch der Welt“ bezeichnet. Er hat Auszeichnungen erhalten, unter anderem ist er berechtigt, ein Wappen zu führen. Ob er diese Ehre dafür bekommen hat, was er an Küchenphilosophie so von sich gibt, ist fraglich. Unter der Bezeichnung Quantengastronomie spricht er von der Freiheit, in der Küche zu experimentieren, Rezepte mal so, mal so abzuändern, der Lust und der Laune zu vertrauen. Nun, wenn man dafür in England geehrt wird, dann sollte ich mir doch schnell mal meinen Adelstitel dort abholen, denn ich mache seit Jahrzehnten nichts anderes. Ich tue dies zusammen mit Millionen Köchinnen und Köchen: einfach so, weil es Spass macht und unendliche Möglichkeiten bietet.
Ich habe dann bei Blumenthal doch noch etwas nachkochen wollen und mich für das Chicken Tikka Kebab entschieden. Das Hühnchen wird einen Tag lang in verdicktem, gewürztem Joghurt mariniert und kommt dann unter den Grill. Resultat: Geschmacksintensiv und wunderbar saftig. Eine bodenständige, nach Indiens Märkten duftende Mahlzeit.
Autor: Heston Blumenthal, Illustrationen Dave McKean, Fotos Haarala Hamilton
Titel: Ist das ein Kochbuch?, Abenteuer aus der Küche
Verlag: at-Verlag, 2023, gebunden, 366 Seiten
ISBN 978-3-03902-191-8, 43.– Euro/44.– Franken
Kurz zusammengefasst: Neuartig, kunstvoll gestaltetes Kochbuch mit zahlreichen Grundrezepten, Basisinformationen und Tipps. Ein paar Experimente für Wagemutige sind auch dabei.
Für wen: Für Neulinge in der Küche, die es ohne lange Umwege auf Sternekücheniveau bringen wollen. (Das sollen sie ruhig mal probieren!)
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