Zürich: Wo Kaffeemaschinen beim Morden helfen

Florian Berger hat genug. Seine Lebenspartnerin hat ihn vor die Türe gesetzt, er ist so gut wie pleite und seit zu langer Zeit sitzt er vor dem ersten Kapitel seines neuen Romans. Über den ersten Absatz kommt er allerdings nie hinaus. Und jetzt hat er sich im Zürcher Hotel Schwanen eingecheckt. Entweder das mit dem Schreiben läuft jetzt wieder oder er wird sich umbringen. 

Susanne Mathies hat in ihrem neuen Krimi Mord mit Limmatblick einen urzürcherischen und überdies renommierten Schauplatz gewählt: das Hotel Storchen an der Limmat, wohl eines der meistfotografierten Sujets der Limmatstadt. Susanne Mathies Antiheld Florian Berger kommt nicht sehr weit mit seinen Plänen: Während er seinen Selbstmord in Szene setzt, wird im Nebenzimmer eine Frau angeschossen. Florian Berger wird verdächtigt, die Tat begangen zu haben. Die Frau ist nicht irgendwer, sondern Florians Ex-Partnerin Lena. Was folgt ist eine Hetzjagd durch Zürich und mitten hinein in Mord und mafiöse Machenschaften rund um Immobilien und Drogen. Hilfe bekommt Florian von seiner Kollegin Cressida Kandel.

Susanne Mathies hat erneut einen temporeichen Zürich-Krimi geschrieben, in welchen sie nicht nur Lokalkolorit sondern auch ein aktuelles, brisantes Thema hineinpackt: in die Jahre gekommene Häuser, die auf die Schnelle von ihren Mietern «befreit» werden sollen. Dass man dafür Kaffeemaschinen einsetzen kann, auf die Idee wäre ich noch nicht gekommen. 

Titel: Mord mit Limmatblick, Krimi, 246 Seiten, Paperback

Autorin: Susanne Mathies

Verlag:  Gmeiner, 2022

ISBN 978-3-8392-0285-2 , SFr. 19.10 / 15.– € 

Kurz zusammengefasst: Hinter der schönen Fassade des Hotel Storchens in Zürich geschehen unfassbare Dinge. Der erfolglose Autor Florian Berger ist zur falschen Zeit mit den falschen Absichten am falschen Ort. Und sollte jetzt beweisen, dass er kein Mörder ist.

Für wen: Zürcher Eiltempo für Krimifans.

Mit Gesichtsmaske in Athen unterwegs

Petros Markaris hat für seinen neuesten Kostas-Charitos-Fall Verschwörung die Stimmung in Athen während des Corona-Lockdowns gewählt. Dass die belastende Situation des Eingeschlossenseins mit all ihren verstörenden Nebenwirkungen den Weg in die Literatur finden würde, war sofort klar. Der Gedanke der Umsetzung des Themas in Form eines Krimis allerdings wirkte auf mich im ersten Moment ungewöhnlich. Allerdings fand ich dann in Verschwörung noch ganz andere gesellschaftliche Themen angeschnitten. 

Zum Inhalt: Geschäfte und Restaurants sind zu, zahlreiche Menschen in Athen wissen buchstäblich nicht, wovon sie leben sollen. Kostas Charitos, Hauptkommissar bei der Mordkommission in Attika, wird plötzlich mit ungewöhnlichen Selbstmorden konfrontiert – dies in einer Zeit, in der selbst Athens Mörder im Lockdown zu sein scheinen und man die Zeit in Athens Mordkommission mit Däumchendrehen verbringt. Viel lieber als zu ermitteln, würde Charitos sich um seinen Enkel kümmern und sich von seiner Gattin bekochen lassen. Doch zu den Selbstmorden kommt plötzlich ein Überfall auf einen Impfstofftransport. Der Fahrer des Transporters kommt dabei zu Tode. Charitos ermittelt in Milieus, die gegensätzlicher nicht sein könnten: auf der einen Seite einst engagierte, nun desillusionierte Altsozialisten, auf der anderen junge, agile Aktivisten der Corona-Leugner-Szene. 

Links gegen rechts; Arme gegen jene, die aus jeder Krise einen Gewinn ziehen; betagt und der Gesellschaft verbunden versus jung, gut ausgebildet, aber mit Mangel an Herzensbildung: der Krimi thematisiert die Gegensätze, welche sich durch Gesellschaft, Familien, Arbeitswelten ziehen. Dies mit viel griechischem Lokalkolorit und Gesichtsmaskenatmosphäre.

Autor: Petros Markaris

Titel: Verschwörungein Fall für Kostas Charitos, Krimi, Aus dem Griechischen von Michaela Prinzinger

Verlag:  Diogenes, 2022, gebunden, 277 Seiten

ISBN 978-3-257-07212-9, 25.­– Euro/34.– Franken

Kurz zusammengefasst: Krimi à la grec, Athen während des Lockdowns. Erst gibt es eine seltsame Selbstmordserie, dann werden Impfstofflieferungen vernichtet. Kommissar Kostas Charitos muss sich mit gnadenlosen Verschwörungstheoretikern, depressiven Altsozialisten und einem nervös gewordenen Minister herumschlagen. Er tut dies ohne Hetze und indem er Familie und Freunde zu Rate zieht.

Für wen: Ffür alle, die nackte Brutalität und Action langweilig finden und dafür mehr mit Familie, Lokalkolorit, unaufgeregten Ermittlungen und beinahe liebenswerten Bösewichten anfangen können.

Wie es dazu kommen kann, dass der Thunersee absäuft

Mit Pascal Gschwind geht es rasant abwärts. Das sieht er selber natürlich anders. Er hat einen neuen, ihm viel abverlangenden Job bei Valnoya angefangen. Valnoya ist weltweit im Minengeschäft tätig. Und gerade eröffnet sich Pascal Gschwind eine Möglichkeit, rasch die Karriereleiter hochzuklettern und einen Sack voll Geld nach Hause zu tragen: Am Beatenberg wurde Recapitanium gefunden. Der Kanton Bern veranlasst gegen die Warnung von Spezialisten und Umweltschützern Sondierbohrungen. Derweil gibt Valnoyachef Hiller Gschwind den Auftrag, für die Firma jenes Grundstück zu erwerben, unter welchem sich die wunder- und kostbare Recapitanium-Mine befindet. Da wird Pascal Gschwind gleich erfinderisch und nimmt es mit den geltenden Landerwerbbestimmungen nicht so genau. Wäre doch schön, wenn er zu seinem Tesla das passende Boot hätte, um auf dem Thunersee herumzukurven. Während Geschwind sich ein Diplom als Landwirt bastelt, beschäftigt sich seine Ehefrau Rina mit Joga, Achtsamkeit und anderen schönen Dingen, indes sein Sohn Levin eine Umweltorganisation namens Back to the fruits gründet und die Schule schmeisst. Als ob Pascal Gschwind mit seinem «sustainability report» und den Umweltsünden eines peruanischen Valnoya-Betriebs nicht schon genug um die Ohren hätte. 

Soweit ein Anriss der temporeichen, fabelhaften Geschichte, die Urs Mannhart unter dem  etwas umständlichen Titel Gschwind oder das mutmasslich zweckfreie Zirpen der Grillen, erschienen beim Secession-Verlag, verfasst hat. Der Autor lässt uns seinen Gschwind so richtig schön ans Herz wachsen, denn trotz all seiner Karrieregeilheit und seines Wirtschaftsverträglichkeitsgeschwafels hat Pascal Geschwind auch menschliche Seiten. Ob am Ende Umwelt, Allgemeinwohl und Familie mehr wiegen als Geld und Macht, dafür muss man diesen köstlichen, aberwitzigen Roman schon selber lesen. Langweilig wird es jedenfalls nicht. Ausserdem: nach all dem virusbedingten schlechten Nachrichten darf man sich schon wieder mal mit den besorgniserregenden Nachrichten rund um den Planeten Erde beschäftigen (und sich in allen Farben vorstellen, was passiert, wenn der Thunersee absäuft). Mannhart legt mit Beobachtungsgabe und feiner Ironie offen, wie wir es mit Negation und argumentativ unterstütztem Selbstbetrug vermeiden, uns näher mit Themata zu beschäftigen, die uns eigentlich unter den Nägeln brennen sollten.

Titel: Gschwind oder Das mutmasslich zweckfreie Zirpen der Grillen, Roman, 286 Seiten, gebunden

Autor: Urs Mannhart

Verlag:  secession Verlag, Berlin, 2021

ISBN 978-3-96639-039-2, Fr. 30.­–, Euro 23.­–

Kurz zusammengefasst: Raffgier und Machthunger bringen nicht nur Gschwinds Leben durcheinander, sondern auch die Berner Alpen ins Wanken. Süffig zu lesen, ironisch, phantasievoll aber als mögliches Szenario leider, leider nicht allzu abwegig. 

Für wen: Kann ich einfach allen empfehlen.

Zürichs Mordserie geht weiter

Auf der Zugfahrt von einer Buchpräsentation versank ich gestern förmlich in einem Krimi. Der Titel: Mord im Lesesaal, die Autorin: Susanne Mathies; dies ist bereits ihr vierter Zürich-Krimi. Leider, leider war meine Zugfahrt nicht lange genug, ich werde das Ende der packenden Story heute lesen müssen. Zum Glück stürmt der Föhn draussen durchs Land, so dass einem gemütlichen Kriminachmittag auf dem Sofa nichts im Wege steht. 

Tatort ist der ehrwürdige Lesesaal der Zürcher Museumsgesellschaft am Limmatquai. In diesen Raum gelangen sonst nur Mitglieder. Doch jetzt sitzt dort in einem roten Lesersessel ein unappetitlicher alter Mann, auf dem Teppich unter seinen Füssen breitet sich eine rote Blutlache aus. Die anwesende Krimiautorin Cressida Kandel nimmt sogleich die Ermittlungen auf, denn die Züricher Polizei hat gerade Besseres zu tun, als sich um einen Toten zu kümmern. 

Cressida Kandel ist eine Falllöserin nach meinem Geschmack. Durchsetzungsstark, selbstbestimmt, mal mit Charme, mal mit Witz lenkt sie die Ermittlungen. Dazu berechtigt sie sich gleich selber, hat sie doch „durch ihre Tätigkeit als Krimiautorin am meisten Erfahrung mit Polizeiarbeit“ und weiss, wie ein Täter tickt. Verdächtig sind eine Handvoll Personen, von denen Cressida schon vor dem Mordfall gedanklich ein Figurenprofil angelegt hat. Ich bin mal gespannt, wie weit sie damit kommt, ohne von den anderen im Lesesaal Anwesenden selbst verdächtigt zu werden.

Auch die anderen Figuren der Geschichte haben es in sichl: Da wäre zum Beispiel die Saalaufsicht Karin, die mit der Mordwaffe in der Hand ohnmächtig aufgefunden wurde. Oder Martin Leemann, der Sohn des verschwundenen Schriftstellers Solomon Leemann. Irgendwie nämlich scheint der gruselige Tote mit Solomon in Verbindung zu stehen. Schnell sind ein paar Thesen zur Hand, es wird mit dem Finger auf andere gezeigt, immer nach dem Motto: Schuldig ist der andere. 

Weiter gefällt mir der Schauplatz ausnehmend gut: Ein Ort, an welchem sich lauter anscheinend distinguierte Menschen treffen, ein Ort mit Historie, einen Steinwurf entfernt von den touristischen Hauptattraktionen Zürichs, ein Ort, an welchem man als Letztes einen Mord an einem vergammelten Alten erwarten würde. Die Geschichte ist süffig geschrieben, nimmt die lokalen Gegebenheiten aufs Schönste auf und liebevoll ein wenig auf die Schippe.

Hier schreibt eine Autorin, die ihren Wohnort mag, aber auch dessen Schwächen kennt.

Titel: Mord im Lesesaal, Krimi, 281 Seiten, Paperback

Autorin: Susanne Mathies

Verlag:  Gmeiner, Messkirch, 2021

ISBN 978-3-8392-0054-4

Euro 13.00, Fr. 19.90

Kurz zusammengefasst: Eine taffe Krimiautorin und Writer in Residence auf der Pirsch nach neuen Geschichten und einem Täter. In Zürichs Touristenquartier angesiedelt. An einem Ort, an dem Touristen nichts verloren haben. Zügig und mit Witz geschrieben.

Für wen: Für Agatha-Christie-Fans und alle, die nächstens mal nach Zürich müssen. (Wenn sie jemanden kennen, der jemanden kennt, dürfen sie vielleicht auch einen Fuss in den Lesesaal setzen. Der Blutfleck unter dem roten Sessel wurde so gut es geht entfernt.)

Das Gute mit unmoralischen Mitteln

In der Süddeutschen stand dieser Tage zu lesen, dass das Golf-Drogenkartell auf die blendende Idee kam, den Corona-Virus auf perfide Weise zu nutzen, um sein Image aufzupolieren: mit der Verteilung von Lebensmittelpaketen an die darbende Bevölkerung. Das zeigt einerseits, wie unverschämt die Banden im Lande agieren, anderseits auch, wie machtlos ihnen Gesetz und Politik gegenüberstehen:

„Die Bande ist eines der ältesten Kartelle, sie hat eine eigene paramilitärische Einheit, Los Zetas. Diese machte sich aber irgendwann selbstständig und zerfiel in zwei Fraktionen, die sich dann einen Krieg lieferten. Ähnliches geschieht in fast allen Staaten Mexikos. Hunderte Gangs, Banden, Kartelle und Milizen bekämpfen sich. Sie haben das Land in einen immer brutaleren Drogenkrieg gestürzt.“ (Zitat aus dem Artikel der Süddeutschen).

Und schon sind wir mitten im Buch „Die Korrupten“ von Jorge Zepeda Patterson:

Eine beliebte mexikanische Schauspielerin wird brutal ermordet. Der Journalist Tomás Aridmendi bringt in einer Kolumne den Namen des Innenministers in den Fokus der Verdächtigen. Dies bringt den Journalisten selber in Gefahr. Glücklicherweise stehen ihm seine drei Freunde zur Seite. Sie beschliessen so rasch als möglich den wahren Mörder zu finden.

Das Quartett mutet an wie TKKG für Erwachsene. Sie nennen sich „die Blauen“. Der Freundeskreis besteht neben Tomás, aus der Politikerin Amelia, dem Sicherheitsberater Jaime und Universitätsprofessor Mario. Der Autor Jorge Zepeda Patterson ist selber als Journalist tätig ist; die politischen Gegebenheiten seines Landes kennt er wohl recht gut. 

Womit haben wir es in diesem Roman zu tun: Politiker, die das Gute wollen, es aber mit undemokratischen Mitteln bewerkstelligen. Eine Führungsriege, die sich allen Ernstes damit befasst, wie man das „schlechtere“ Drogenkartell schwächen und ein „besseres“ stärken kann. Eine Politklasse, die kräftig bei schmutzigen Geschäften mitmischt und absahnt, wo es was zu holen gibt. Journalisten und Computerspezialisten, die entweder gleich mundtot gemacht oder dann zur Mitarbeit gezwungen werden. Die Liste der Missstände nimmt kein Ende. Tatsächlich scheint es so, dass keiner, auch die Blauen nicht, so integer ist, wie er gerne wäre. Ein Korruptionssystem, an das sich jeder irgendwie anpasst. Eine Situation, die uns als LeserInnen, die wir gerne an das Gute im Menschen glauben wollen, hilflos zurücklässt.

Titel: Die Korrupten, gebunden, 480 Seiten

Autor: Jorge Zepeda Patterson, aus dem Spanischen von Nadine Mutz 

Verlag: Elster-Verlag, 2020, 

ISBN 978-3-906903-15-6, Fr. 32.00/Euro 24.00

Kurzbeschrieb/-bewertung: Kriminalfall mit sehr vielen innermexikanischen Details. Es lohnt sich, sich kurz über die politischen Zustände des Landes zu informieren, um einen Einblick zu haben, wie das Land funktioniert – oder eben nicht funktioniert. Die Charaktere der vier Freunde, die den Kriminalfall lösen müssen, wirken zu Beginn wie „hatten wir schon“ – erweisen sich dann aber im Laufe der Geschichte als facettenreicher.

Für wen: für einmal keine spezielle Empfehlung.

„Die Insel der Träume hat Sie längst in ihr Herz geschlossen“

Ein Inselarchipel im indischen Ozean, Strand namens Nomad Island, Kokospalmen, schöne Menschen und das Versprechen von paradiesischem Glück. Was braucht es mehr? 

Der Westschweizer Autor Joseph Incardona ist der Verfasser von One-Way-Ticket ins Paradies. Der Autor beobachtet gerne die menschlichen Schwächen. Beispielsweise unser Anspruch auf Glück, der sogar in den Grundrechten verankert ist. Was natürlich noch lange nicht klärt, was damit gemeint ist: Besitz, Liebe, Akzeptanz, Vergnügen, Zufriedenheit, eine sinnstiftende Aufgabe oder ganz etwas anderes?

Die Story: Paul und seine Familie fliegen für eine Woche nach Nomad Island, wo all ihre Wünsche in Erfüllung gehen sollen. Paul möchte endlich wieder Sex mit seiner Frau. Iris wiederum will aus ihren Gedanken tilgen, was sie so unendlich traurig macht. Tochter Lou möchte endlich ihre Jungfräulichkeit verlieren. Und der neunjährige Stan wünscht sich einfach eine entspannte Zeit mit seiner Familie. 

Incardona nimmt für seinen Roman das vollblumige Glücks-Versprechen von Reiseveranstalten unter die Lupe. Dieses wird jeweils spätestens dann als reine Werbung entlarvt, wenn wir mit anderen Paradiessuchenden in einer Flugzeugreihe einklemmt sind, in einer Warteschlange vor dem Kofferband stehen oder in einem klapprigen Kleinbus von jemandem, mit dem wir nicht kommunizieren können, durch eine beängstigende Wildnis oder – noch schlimmer – zu einem Touristen-Hotspot chauffiert werden. Ja, wider besseres Wissen fallen wir gerne auf Reise-Glücksverheissungen rein. Und eine Insel der Träume, wo einem versprochen wird, „alles zu vergessen, was man über Ferien zu wissen meinte“, klingt verlockend. Vor allem, wenn das alltägliche Glück sich von einem verabschiedet hat und man nicht einmal weiss, wann, weshalb und wohin. Oder war es vielleicht gar nie da?

Paul, Iris, Lou und Stan jedenfalls gelangen auf ihrer gebuchten Glückssuche an einen Ort, der sie voll und ganz in sich aufzusaugt. Spektakuläre Sonnenuntergänge, Massagen, Fitnessprogramme, Drinks a gogo in einem nach Gewürzen und Frangipani duftenden Garten bilden das Rundum-Sorglos-Paket. Gut, der Empfang war jetzt nicht das, was man von einem Klasse-Hotel erwarten durfte, aber die anderen Gäste sind überaus freundlich. Allerdings, finden zumindest Paul und Stan, gibt es auch höchst seltsame Sachen in diesem Resort. Beispielsweise Drohnen, welche die Gäste gerne ins Kameraauge fassen. Das Kinder-Programm wird von einer bösartigen Aufseherin überwacht, und nachts, wenn die Rasen-Bewässerungsanlage ausgeschaltet wird, tauchen seltsame Gestalten vor dem Bungalow auf. Alles keinen Gedanken wert, finden Iris und Lou. Doch das mit dem gemeinsamen Familienglück will sich nicht einstellen.

In diesem Paradies im indischen Ozean geht nichts so richtig auf. Warnzeichen blenden auf, geraten wieder in den Hintergrund. Wer glücklich aussieht, ist vielleicht nur angesäuselt oder böse. Oder abgestumpft. Und bald einmal wird dem Leser klar: Einer kann sich zwar fürs eigene Glücklichsein entscheiden, doch er muss damit rechnen, dass das Gegenüber etwas ganz anderes darunter versteht. 

Ein Inselarchipel im indischen Ozean namens Nomad Island, Strand, Palmen, schöne Menschen und das Versprechen von paradiesischem Glück. Seien Sie froh und dankbar, dass Sie nicht dahinreisen müssen! Und wenn, dann nur  vom Sofa aus mit diesem Buch in der Hand und in der Phantasie.

(Wobei ich jetzt faustdick lüge: Auch ich war schon mal ferienhalber an einem paradiesischen Ort, von dem ich nie, nie wieder weg wollte. Und ich habe den Verdacht, auch Joseph Incardona habe ähnliches erlebt.)

Titel: One-Way-ticket ins Paradies, Roman, 309 Seiten, gebunden

Autor: Joseph Incardona, aus dem Französischen von Lydia Dimitrow

Verlag: Lenos, 20120, http://www.lenos.ch

ISBN 978-3-03925-002-8, Fr. 28.–/Euro 22.–

Kurzbeschrieb/-bewertung: Packend erzählte Geschichte einer Familie aus der Westschweiz, die auf ihrer Ferienreise allerhand erlebt: Paradiesisches, Urtümliches, Gefährliches, Lustvolles, Nervenzerreissendes. Die Insel, auf der sie landen, scheint ein Eigenleben zu führen.

Für wen: Fernwehgeplagte, die manchmal das Gefühl haben, auf dem heimischen Sofa würden sie von der einen oder anderen Sprungfeder gequält.

Hinter der biederen Fassade wohnt nicht Frau Biedermann

Ursula López lebt allein und unauffällig in einer Wohnung in Montevideo. Sie ist aus der Form geraten, schlägt sich als Übersetzerin durch, tritt regelmässig in billigen Nachmittagsshows als Frau Biedermann auf und beschäftigt sich liebevoll mit der Pflege japanischer Figürchen aus dem Nachlass ihres Vaters. Doch was keiner weiss: Hinter der braven Ursula-Fassade brodelt ein Vulkan, der jederzeit ausbrechen kann. Das weiss ihre schöne, reiche Schwester Luz nicht. Ebensowenig weiss es die nervtötende Mieterin, die über Ursulas Wohnung eingezogen ist. Auch der Erpresser, der sich eines Tages bei Ursula meldet und von ihr eine Million will, hat keine Ahnung von den Zuständen, in die Ursula geraten kann. 

In Mercedes Rosendes Krimi aus Uruguay ist überhaupt nichts und niemand so, wie es auf den ersten Blick erscheint. Reich und schön tritt hier an gegen dick, ungeliebt und vermeintlich schwach. Am Ende erhält allerdings keiner, was er am liebsten gehabt hätte. Irgendwie ist es dann auch egal: Man arrangiert sich. Harte Konsequenzen, das heisst Gefängnis, muss hier nur einer gewärtigen. Serviert wird das sieben Tage dauernde Krimistück mit ulkigen Szenen. Zum Beispiel jener von Ursula im Frisiersalon, beim Psychologen oder bei den Weight Watchers. Alles Orte, an denen Ursula eigentlich nicht sein möchte. Köstlich auch die Dialoge. (Ich könnte mir vorstellen, dass Mercedes Rosende nicht nur temporeiche Krimis, sondern auch knackige Bühnenstücke schreiben könnte.)

Insgesamt hätte ich mir gewünscht, dieser ungewöhnliche, irrwitzige Krimi hätte noch ein paar Tage länger gedauert. Am Ende gibt es einige lose Fäden in der ganzen Story: Was hat es mit der neuen stöckelbeschuhten Nachbarin auf sich und vor allem: Wie viele Briefe wird ihr Ursula noch schreiben, bevor sie ihr die Türe einrammt? Oder wie war das jetzt genau mit dem Tod von Ursulas Vater und dem Mord an ihrer Tante? 

Titel: Falsche Ursula, broschiert, 204 Seiten

Autorin: Mercedes Rosende 

Verlag: Unionsverlag Zürich, 2020, http://www.unionsverlag.com

ISBN 978-3-293-00559-4, Fr. 24.00/Euro 18.00

Kurzbeschrieb/-bewertung: Eine Entführung in Uruguay Hauptstadt, die für alle Beteiligten in die Hosen geht. Das aber höchst amüsant.

Für wen: Aussergewöhnlicher, etwas kurz geratener Krimi für aussergewöhnliche LeserInnen.

Ein Mann, eine Wohnung, drei Frauen

Drei Frauen begegnen einem Mann namens Gil. Nicht alle auf einmal, sondern schön eine nach der anderen. Orna, die erste, ist nach ihrer Scheidung auf der Suche nach dem eigenen Selbstwert. Eine Internetplattform soll’s richten. Dort findet sie Gil: Rechtsanwalt, selbstbewusst, charmant und ein wenig geheimnisvoll. Da ist zum Beispiel seine altmodisch eingerichtete Wohnung. Mit der Zeit findet Orna etwas über Gil heraus, was ihr keine Ruhe lässt.

Gils nächste Eroberung Emilia ist eine heimat- und praktisch arbeitslos gewordene Lettin. Emilia putzt mit zunehmender Begeisterung Gils Wohnung und stösst dabei auf rätselhafte Zeitungsausschnitte.

Nummer drei heisst Chava. Sie begegnet Gil in einem Café. Anfangs sieht es so aus, als ob Gil nicht viel mehr von ihr möchte, als seinen morgendlichen Kaffee in ihrer Nähe zu trinken. Auch Chava zögert, sich auf Gil einzulassen: Sie schreibt offensichtlich an einer Arbeit, und ihr jetziges geregeltes Leben ist ihr wichtig. Welches genau ihre Tätigkeit ist, verschweigt sie Gil aus gutem Grund. Doch Gil sagt Sätze wie: „Die echte Intimität, die du plötzlich mit jemandem erlebst, den du vorher nicht gekannt hast und der sich dir jetzt nach und nach offenbart. Das ist doch das eigentlich Aufregende nicht?“ Welche Frau hört sowas nicht gerne? Chava jedenfalls lässt sich nach so einem Gespräch küssen.

Drei ist eigentlich eine Kriminalgeschichte. Auch ein Roman über die Verwundbarkeit von Frauen, die irgendwie aus ihrer Welt gefallen sind, sei es durch soziale oder familiäre Umstände. Einsamkeit und Unsicherheit sind die Schwachstellen von Orna und Emilia. Beide sind auf der Suche nach jemandem auf den sie sich verlassen können. Wenn Gil an den richtigen Rädchen dreht, hat er leichtes Spiel. Chava wiederum ist selber stark, doch auch sie sucht etwas. Alle drei Frauen werden von Gil belogen. Er mag es auch nicht, wenn man zuviel frägt. Dann geht er auf Reisen.

Der Roman spielt in Israel und ist – wie es der Titel schon nahelegt – dreiteilig aufgebaut. Jeder der drei Frauen gehört ein Teil des Buches, doch ihre Geschichten spielen immer auch in die Erlebnisse der anderen hinein, ohne dass sie sich gegenseitig kennen würden oder gekannt hätten. Um dies zu unterstreichen hat Dros Mishani die drei Teilstücke in unterschiedlichen Tempi verfasst: Orna, die Vergangenheit, Emilia die Gegenwart, Chava in Zukunft. 

Titel: Drei, Roman,  330 Seiten, gebunden

Autor: Dror Mishani, aus dem Hebräischen von Markus Lemke

Verlag: Diogenes, Zürich, 2019

ISBN 978-3-257-07084-2, Fr. 32.–/Euro 24.00

Kurzbeschrieb/-bewertung: Einsame Frauen auf der Suche nach einem passenden Mann. Und dann taucht einer auf: charmant, zärtlich und voller Verständnis. Zu schön um wahr zu sein. Die drei Frauen geraten in gefühlsmässigen Treibsand. Mehr sei hier nicht verraten.

Für wen: Passt gerade zum Dezember, wo nicht alles Gold ist was glänzt. Deshalb für alle, die gegen aussen Flitterkram verabscheuen, ihn aber im Innersten trotzdem verführerisch finden. 

Denn das Allgäu liegt so nah

Von allen Lokalkrimi-Matadoren hat es mir der Allgäuer Fellpantoffelheld Kluftinger ganz besonders angetan. Der in Kempten arbeitende Kommissar fühlt sich eigentlich am wohlsten in seinem Heim, bei seiner Erika und beim „Butzele“, dem Baby von Sohn Markus und Schwiegertochter Yumiko. Kluftinger redet wie ihm der Schnabel gewachsen ist, flucht selbst in der Kirche, ist manchmal halsstarrig, gibt niemals einen Fehler zu, pflegt seine Vorurteile und führt seine Ermittlertruppe mehr schlecht als recht. Manchmal aber klopft er auf den Tisch. Das braucht es auch, denn die Mitglieder von Kluftingers Truppe geraten sich nur allzu gerne in die Haare. Kurzum: Die beiden Krimiautoren Klüpfel und Kobr haben ein Setting geschaffen, in dem es zu- und hergeht grad wie im richtigen Leben, mit schrulligen, liebenswerten Typen, wie es sie nicht nur im Allgäu gibt. 

„Kluftinger“ heisst der zehnte Fall des Autorenduos. In diesem Krimi geht es um den Kommissar persönlich. An Allerheiligen taucht auf dem Altusrieder Friedhof ein Kreuz auf, auf dem in wohlgeformten Lettern der Name Adalbert Ignatius Kluftinger steht. Dabei stolziert ebendieser Adalbert Ignatius Kluftinger gerade mit stolzgeschwellter Brust mit seinem Grosskind zwischen den Gräbern herum. Als dann in der Zeitung auch noch eine Todesanzeige für Kluftinger erscheint, ist es klar: Hier handelt es nicht um einen dummen Scherz. Der Kommissar schwebt in Lebensgefahr. Kluftinger muss sich überlegen, wer ihm an den Kragen will. Dabei muss er sich auch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Auch mit Geschichten aus seiner Jugend, als er sich noch mit einer Mofa-Clique die Langeweile vertrieb. Geschichten, an die er lieber nie mehr gedacht hätte. 

Autoren: Volker Klüpfel/Michael Kobr

Verlag: Ullstein, 2019, ullstein-buchverlage.de

ISBN 978-3-548-06032-3, Fr. 14.90/Euro 12.00, Taschenbuchausgabe

Kurzbeschrieb/-bewertung: Humorvoll und spannend, mit einem Einblick in menschlichen Eigensinn allgäuischer Ausprägung. 

Für wen: Ich wüsste niemanden, dem solche Krimis kein Vergnügen bereiten.

Die Bretagne ruft

Kommissar Georges Dupin ermittelt wieder. Nachdem er in seinem siebten Fall in den sagenumwobenen Wäldern von Brocéliande unterwegs war, muss er diesmal in seinem Wohnort Concarneau den Tod von Doktor Chaboseau untersuchen. Dass es sich um Mord handelt wird sofort klar. Wenige Stunden später folgt eine Explosion in einer Werft, bei der vier Arbeiter verletzt werden. Hängen die beiden Fälle zusammen? 

Die Frau des zu Tode gekommenen Arztes hüllt sich in vornehmes Schweigen. Auch dessen Freunde, ein Apotheker und ein Weinhändler, scheinen keine Ahnung zu haben, wer hinter dem Mord und der Explosion stecken könnte. Dupin und seine Leute tappen lange im Dunkeln und tragen mühselig Fakten zusammen. Verwirrenderweise scheint auch ein alter Kriminalroman von Simenon in die Angelegenheit hineinzuspielen. 

Der Fall lässt Dupin in ganz Concarneau herumeilen. Logisch, dass er dabei kaum an seinem Schreibtisch im Kommissariat anzutreffen ist und auch um die auf Besuch weilenden Eltern von Claire kann er sich – leider, leider – nicht kümmern. Dafür kommt er an seinen Lieblingsplätzen und -restaurants und bei seinen bretonischen Freunden vorbei. Selbstverständlich finden Dupin und sein um zwei Polizistinnen erweitertes Team heraus, wie die Dinge zusammenhängen. Mir aber schienen am Ende die Motive, die zu Mord und Anschlag führten, doch etwas dürftig.

Ganz offensichtlich ist Jean-Luc Bannalec, der Autor der Dupin-Romane, der Bretagne liebevoll verbunden. Seine Krimis transportieren immer eine Ladung atlantischer Meeresbrise. Sie wecken unbestreitbar die Lust, die Bretagne selber zu besuchen und etwas von dem zu finden, was Kommissar Dupin so umwerfend an der Gegend findet.

Da das mit dem Hinreisen gerade nicht geht, suche ich – nicht zum ersten Mal – ein paar Bilder im Internet. Und bin ernüchtert. Selbst die prächtigsten Fotos vom concarnesischen Fort oder den Stränden können einen Strandspaziergang mit Möwengeschrei und den Klang von Takelagen im Wind nicht ersetzen. 

Beim Lesen des neuen Dupin-Krimis stieg in mir des öfteren der Verdacht hoch, der Autor müsse im Dienste der Tourismusbüros der Region stehen. Auf mich wirken beispielsweise die Lokal-Beschreibungen von Kommissar Dupin allzu sehr um das touristische Ansehen der Region bemüht. Auch erinnert mich der Ermittler Dupin sehr an Commissario Brunetti aus Venedig. Beispiele gefällig?: In der Kommissariatssekretärin Nolwenn (vergleiche Signorina Elettra) hat Dupin eine Alleskönnerin im Hintergrund; sein Vorgesetzter ist eine Nervensäge (vergleiche Patta); seine Gefährtin Claire scheint mir über die Massen verständnisvoll (vergl. Signora Brunetti). Und Dupin ist wie sein italienischer Kollege ein Gourmand. In allen Restaurants, die er besucht, kennt er die Wirtsleute mit Namen, ist mit ihren befreundet, und selbstverständlich ist die Küche über die Massen gut. Selbst wenn Dupin nach Mitternacht noch ein Fischmenu bestellt, wird dieses vom Wirt ohne Umschweife zubereitet. 

Hol’s der Teufel, sowas kaufe ich keinem ab. Um die Uhrzeit darf in Frankreich wahrscheinlich kein Koch mehr in der Küche stehen. Wenn doch, würde das wohl gleich die Gewerkschaft auf den Plan rufen. Ausserdem: Welcher gute Koch hat nach Mitternacht noch frischen Fisch im Kühlschrank? Aber lassen wir das dahingestellt. In der Bretagne mögen die Uhren anders laufen, mögen die Fische auch mitternachts fangfrisch sein, und die Köche dürfen in Concarneau meinetwegen kochen, wann sie wollen. Aber wehe, wenn ich mal dort sein werde, um Mitternacht Hunger bekomme, und mir keiner hoppladihopp ein Fischchen mit Kartöffelchen der Spitzenklasse zubereitet! Dann Adieu Monsieur le Commissaire!

Titel: Bretonisches Vermächtnis, Kommissar Dupins achter Fall, 311 Seiten, mit Karten der Umgebung, Paperback

Autorin: Jean-Luc Bannalec

Verlag: Kiepenheuer&Wietsch, 2019, http://www.kiwi-verlag.de

ISBN 978-3-462-05265-7, Fr. 23.95/Euro 16.00

Kurzbeschrieb/-bewertung: Viel Bretagne, zwei Morde, eine Explosion, recht viel Restaurantkunde, Seeluft und Fischduft sowie etwas bretonische Geschichte. Sicherlich nicht der beste Dupin-Krimi.

Für wen: Lokolkolorit-Krimi-LiebhaberInnen