Kürzlich habe ich in einem Interview gelesen, ein Buch, das nicht schon auf der ersten Seite mit einem Dialog aufwarte, könne man gleich zur Seite legen. Solche als Gewissheiten daherkommenden Sätze machen mich misstrauisch. Nach der Lektüre von Dag Solstads T. Singer bin ich nun ganz sicher: Dieser Ratschlag taugt nichts. Denn gibt es nichts Schöneres als einen Roman zu lesen, dessen Handlung und schriftstellerische Umsetzung eine in sich geschlossene Einheit bilden?
Genau das ist Dag Solstad mit T. Singer gelungen. Auf Dialoge verzichtet der Roman beinahe vollständig. Es kommen genau zwei Gespräche im gesamten Buch vor: Das eine ist ein Selbstgespräch der Hauptfigur T. Singer (der Vornamen erfährt der Leser nicht) mit einem imaginären Freund; das zweite findet mit einer Zufallsbegegnung statt und ist weniger ein Dialog, als ein Monolog über das Billige und das Glück.
Doch ich sehe schon, langsam wird es Zeit, etwas über den Inhalt der Geschichte zu erzählen: T. Singer ist ein rückgratloser Grübler und einer, der ständig als Beobachter neben sich steht. Er ist „ein identitätsloser Lebensverleugner, ein ganz und gar negativer Geist … ein unpraktischer Vagabund auf der Landstrasse des Lebens. Er ist umgänglich, doch hat er keine Ziele, es sei denn, keinesfalls in peinliche Situationen zu geraten und nirgends aufzufallen. Er zieht als Bibliothekar nach Notodden, heiratet dort Merete, die eine kleine Tochter in die Ehe bringt. Doch dann verunfallt Merete; Singer sieht sich einer Herausforderung ausgesetzt, denn seine Stieftochter begegnet ihm mit einer Indifferenz, die seine eigene zurückwirft.
Der Roman beginnt mit einer seitenlangen Einführung über Singers über alle Massen grosse Schamhaftigkeit. Der Autor dreht dieses Problem Singers so lange, dass man sich alsbald in einem Spiegelkabinett fühlt und einem leicht schwindelig wird. Jedoch genau mit dieser Darstellungsweise führt Solstad den Leser in die Denkweise Singers ein. Wer es denn nun genau ist, der Singer und sein Problem beobachtet und beschreibt, wird vorerst nicht klar: der Autor oder eventuell Singer selbst, der selbst einmal von sich als Schriftsteller tagträumte? Ein Aussenstehender?
T. Singer ist als Figur so bedeutungslos, so „inkognito“, dass sich selbst der Autor scherzhaft selber wundert, wie er es zu einer Hauptfigur in einem Roman geschafft hat. Doch gerade in Singers Kleinheit erkennen wir uns selbst. Und so wie Singers Tage dahinschwinden, ohne dass er wüsste wohin, noch ob er sie vermissen sollte, so ergeht es wohl zeitweise den meisten von uns.
Titel: T. Singer, Roman, 284 Seiten, gebunden
Autorin: Dag Solstad
Deutsche Erstübersetzung. Aus dem Norwegischen von Ina Kronenberger
Verlag: Dörlemann-Verlag, 2019, http://www.doerlemann.com
ISBN 978-3-03820-065-9, Euro 22.–/ Fr. 30.–
Kurzbeschrieb: Die Geschichte eines Mannes namens Singer, der sich in seinem Leben mittels Selbstbeobachtung, Selbstwahrnehmung, Selbstkontrolle selber schachmatt setzt, unterlegt mit leisem Spott.
Für wen: Für Grübler aller Arten.