Hansjörg Schneider ist ein Autor, der seit langem zum inneren Kreis der schweizerischen Literaturszene gehört. Obwohl jetzt seine Autobiographie erschienen ist, würde man ihn kaum als einen Autor bezeichnen, der gerne Wirbel um sich selbst veranstaltet. Eher scheint das Gegenteil der Fall zu sein.
Wirbel gab es allerdings trotzdem: Als nämlich 1981 das Schweizer Fernsehen Hansjörg Schneiders Sennetunschi ausstrahlte, eine erotisch ausgedeutete Alpensage, war das Entsetzen im Lande gross. Das Stück über die Fleisch gewordene Puppe war in Mundart geschrieben und dies in einer groben, sexuell aufgeladenen Sprache: So mochte sich mancher die heile Alpenwelt nicht vorstellen. Im Eifer der Diskussionen ging beinahe unter, dass Hansjörg Schneider das Schauspiel bereits ein Jahrzehnt früher verfasst hatte. Es wurde 1972 in Zürich uraufgeführt und sorgte bereits damals für Gesprächsstoff.
Doch Hansjörg Schneider ist nicht nur der Autor des Sennetunschi. Von ihm sind regelmässig Bücher erschienen und Schauspiele aufgeführt worden. Hierzulande kennt jeder seine Figur Kommissär Hunkeler, nicht zuletzt, weil Mathias Gnädinger in den Hunkeler-Filmen dieser Rolle sein besonderes Gepräge gegeben hat. Der Erfinder, ein Stück, das von Kurt Gloor für einen Film adaptiert wurde, stammt gleichfalls von Hansjörg Schneider. Ich habe den Erfinder nie auf der Bühne gesehen, der Film mit Bruno Ganz in der Hauptrolle beeindruckte mich aber sehr.
Schneiders Autobiographie trägt den Titel: „Kind der Aare“. Landschaftliche und menschliche Umgebung prägen uns Menschen. Schneider ist im aargauischen Zofingen aufgewachsen, eine Gegend, die der Autor fein und detailgenau zeichnet, mit Flüssen und Bächen, Gassen, Häusern, ihren Bewohnern und ihrer Geschichte. Der Kanton Aargau hat immer wieder besondere Schriftsteller hervorgebracht, Hansjörg Schneider weiss sich in guter Gesellschaft.
Der 80jährige Schriftsteller widmet in seinem Rückblick besonders seinen Kinder- und Jugendjahren grosse Aufmerksamkeit. Er wuchs in einem Elternhaus auf, in welchem nicht viel diskutiert wurde. Kinder hatten zu gehorchen, zu schweigen und zu glauben, was die Grossen ihnen an Wissen zu vermitteln bereit waren. Entfaltung war nicht gefragt. Sie fand entweder im Inneren statt, in Rebellion oder gar nicht. Hansjörg Schneider floh in Bücher und später in die Entscheidung, selber zu schreiben. Die schwierige Beziehung zum dominanten Vater hat den jungen Autor noch weit ins Erwachsenenleben hinein belastet.
Bei Autobiographien kann man sich natürlich fragen, welchen Mehrwert das Lesen einer solchen mit sich bringt. Wer in den 40ern oder 50ern des letzten Jahrhunderts gross geworden ist, hat wohl eine ähnliche Jugend erlebt wie Schneider. Man wuchs in eine Rolle hinein. Gefragt, ob einem diese passe, wurden die wenigsten. Schneider beschreibt dieses Gefüge: die familiäre und dörfliche Kultur, das oft kleinkarierte Denken. So ist dieses Buch auch ein treffender Blick zurück in die eigene Kindheit oder in jene der Eltern und Grosseltern.
Sehr gelungen und überlegt, wie Hansjörg Schneider zwischen seine Erinnerungen Momente aus der Gegenwart flicht. Dadurch gewinnt die Biographie Struktur und gewährt dem Leser Augenblicke des Innehaltens: „Ein seltsames Schreiben ist dieses autobiographische Schreiben, das ich hier betreibe. … Erinnerung wählt aus, verdrängt das eine, rückt das andere in den Vordergrund. Eines nach dem andern heißt: eines vor dem andern. Das eine, das die Erinnerung ist, verdrängt das andere, das die erlebte Realität ist.“
Geschickt webt Schneider den jeweiligen Zeitgeist und die darin agierenden Menschen -– vor allem Lehrer, Schriftstellerkollegen oder Freunde aus der Theaterszene – in seine Erzählung hinein. Was aussen vor bleibt, sind Frau und Kinder. Das passt durchaus zum zurückhaltenden Schriftsteller. Zurückhaltend allerdings nur, wenn es um die persönlichen Angelegenheiten geht; wo er es für nötig erachtet, spricht er nicht um den heissen Brei herum. Seine Sache ist der Klartext: nichts Gekünsteltes oder Aufgesetztes, Überkandideltes haftet seiner Sprache an. Ein Lesegenuss, aus dem in Zwischentönen die Irritation eines alternden Mannes gegenüber dem Heute hörbar wird.
Titel: Kind der Aare, Autobiographie, mit einem Nachwort von Beatrice von Matt, gebunden, 338 Seiten
Autor: Hansjörg Scheider
Verlag: Diogenes, 2018, www.diogenes.ch
Kurzbewertung: Klar in der Sprache, präzise in der Beobachtung, manchmal wehmütig erzählt Hansjörg Scheider sein Leben, seinen Werdegang und von den Menschen, die sein Leben geprägt haben. Dazu gehören nicht nur Eltern und Verwandte, sondern auch Lehrer und Kollegen. Homestories sind keine zu erwarten.
Für wen: Für alle, die gerne wissen wollen, was für ein Mensch und menschlicher Geist hinter den Geschichten über Kommissär Hunkeler oder dem Stück über das Sennetunschi steckt.
Das Buch von Schneider: Wie immer ansprechend und appetitanregend besprochen!
Der Blog: Gefällt mir ausgezeichnet.
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Danke Trudi. Appetitanregend? Na dann warte mal auf meine Kochbuchbesprechungen, die irgendwann die nächsten Monate folgen werden. Bis dahin muss ich aber noch ein Weilchen kochen. Ich verspreche aber spannende (Sch)Lektüre.
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