Was Maša, Saša, Kolja, Veročka und Ivan im Urlaub so treiben

Wenn ein Sommerregen die Landschaft reingewaschen hat, die Grillen zirpen, Sonnenlicht durch ein Birkenwäldchen bricht, dann ist die Welt in Ordnung, das Glück zum Greifen nahe. Wenn da nur nicht diese Mücken wären. Mücken der allerübelsten Sorte: untreue Ehefrauen und ihre Liebhaber, Bankrotteure, Diebe oder verliebte Karpfen. Apropos Karpfen: Es ist die Schuld eines Fisches, dass „unsere Dichter düstere, niedergeschlagene Gedichte“ schreiben. Jedenfalls schreibt dies Anton Čechov in der Kurzgeschichte Fisches Liebe.

Diese uns andere Short-Stories von Sommerfrischlern, Ehepaaren und Ehebrechern, Verschwendern, Verführern, Trinkern etc. führen uns in ein sommerliches Russland des späten 19. Jahrhunderts. Gelangweilte Ehefrauen setzen ihren törichten Männern Hörner auf; ein Junggeselle schreibt einen Brief, wie es dazu kam, dass er keine seiner Flammen geehelicht hat; ein verliebtes Paar kauft sich ein Landgut und setzt eine Familie auf die Strasse. Da kann einem schon das romantische Gefühl verlustig gehen.

Und gerade deshalb kann ich von Čechov nie genug bekommen. Keiner schreibt so humorvoll, trocken, scharfsichtig und -sinnig über das (Ehe)leben, die tatsächlichen menschlichen Bedürfnisse und ihre romantischen Verbrämungen. Was Liebe scheint und lauthals so verkündet wird, ist oftmals genug wirtschaftliches Denken oder die Suche nach Abenteuer. Der Mensch behilft sich mit Wegdiskutieren und Wegschauen, wenn etwas nicht ins Bild passt. Und daran hat sich seit Čechov nichts geändert, weder in Russland noch hier. 

24 erfrischend-ernüchternde Sommerfrischen-Geschichten hat Peter Urban neu aus dem Russischen übersetzt. Ausgewählt wurden sie von Christine Stemmermann und herausgegeben wurde das Büchlein von Diogenes. 

Titel: Sommergeschichten, Leineneinband, 269 Seiten

Autor: Anton Čechov, aus dem Russischen von Peter Urban

Verlag: Diogenes 2020 

ISBN 978-3-257-07131-3

Kurzbeschrieb/-bewertung: Sommergenuss à la russe. Idylle mit Abgründen, wie man sie von Čechov nicht anders erwartet. Wunderbar.

Für wen: SommerfrischlerInnen, die sich gerne erfrischen lassen aber auch nichts gegen ein wenig Nachdenken haben. 

In rumänische Seelen geschaut

Kurzgeschichten kommt in unseren Breitengraden kaum Beachtung zu. Wahrscheinlich wollen wir uns nicht schon nach wenigen Seiten wieder mit einer anderen Story, neuen Figuren auseinandersetzen. Wir sind es gewohnt, dass literarische Themen vor uns breit ausgefächert werden. Allerdings gibt es auch Kurzgeschichtensammlungen, die zusammen gehören, weil, so unterschiedlich die Typen und Situationen sind, die darin beschrieben werden, so bewegen sie sich doch in einem gemeinsamen Kontext. Eine dieser Sammlungen kommt aus Rumänien.

Es sind ungewöhnliche, intensive Kürzestgeschichten – vom Verlag als Erzählungen bezeichnet – die danubebooks unter dem Titel Die grünen Brüste vorlegt. Autor ist der 1954 geborene rumänische Autor Florin Iaru.

Iarus Figuren leben in einer Gegenwart, in der die Perspektiven eingeschränkt sind oder sich verabschiedet haben. Sie gehen durch eine „erbärmliche, vulgäre Welt“, gegen die es einen Schutzwall braucht. 

Beschrieben werden einfache Menschen, Rentner, Streuner, Taugenichtse, Alleingebliebene, die Iaru auf zwei, drei Buchseiten darstellt. Sie helfen sich, indem sie die Realität ausblenden und sie durch Irrwitz ersetzen. Oder durch Alkohol. Oder durch eine gehörige Portion Übersinnliches. Oder dem Traum von der wunderbarsten Frau der Welt. Oder durch jeden gehobenen Blödsinn, den die Phantasie hergibt. Und nicht zuletzt durch Schweigen und Katzbuckeln gegenüber den Autoritäten. Eine von Iarus Figuren ist Ilie Georgescu, der Bescheid weiss:

„… bereits aus seiner Jugend, dass diese Welt nicht die seine ist und ihn nicht verdient. Deswegen hatte er beschlossen, sobald er mit der Schule fertig war, ein Zuschauer zu sein. Ein vielseitiger, anteilnahmsloser, undurchdinglicher. Fußballspiele schaut er sich angewidert an. Fußball verdient ihn einfach nicht, alles ist so berechenbar, weil alles so unecht ist. Ins Kino geht er immer mit einem karierten Notizbuch ausgerüstet. Er notiert seelenruhig jeden Blödsinn, die Unstimmigkeiten und die Filmfehler.“  

Es ist, als würden Iarus Figuren alles daran setzen, sich das Leben so fern wie möglich zu halten, damit es nur ja nicht nach ihnen griffe. Soll es zupacken wo es will, nur nicht gerade bei einem selbst. Denn was hätte man schon von ihm zu erwarten? 

Ilaru zeichnet auf zwei Buchseiten, wofür andere mindestens zwanzig brauchen:  Charaktere und ein Abbild einer Gesellschaft fast ohne alles, was für eine funktionierende Gemeinschaft wichtig wäre: Vertrauen in die Mitbürger, die Behörden, in sich selbst. Und dies mit einem Unterton, so sec, dass man nicht sicher sein kann, ist er der Verzweiflung geschuldet oder doch schon leicht sarkastisch.

Titel: Die grünen Brüste, Erzählungen

Autor: Florin Iaru, aus dem Rumänischen von Manuela Klenke

Verlag: danubebooks 2020, Ulm, http://www.danube-books.eu

ISBN 978-3-946046-17-2

Kurzbeschrieb/-bewertung: Bizarr, gesellschaftskritisch, nüchtern bis phantasievoll-verspielt, ernüchternd, ironisch, knapp, poetisch: Das sind so die Adjektive, die mir in den Sinn kommen, wenn ich die Kurzerzählungen von Iaru charakterisieren soll. Ein Blick in das Innerste von Rumäniens Bürgern. Den Leuten aufs Maul und in die Seele geschaut. 

Für wen: Etwas wunderbar Anderes für Liebhaber von Kurzgeschichten.