„Lang ist die Nacht hier, und wir haben sonst nichts zu tun“

Jûnis ist nach 20 Jahren ungewollten Exils in seine Heimatstadt Hâmija zurückgekehrt. Er ist in diesen Jahren ein erfolgreicher Lyriker geworden, der unter dem Pseudonym Adham schreibt. Die Flucht und die Fremde haben aus ihm einen anderen Mann gemacht. So wandert er in seiner Jugendstadt und in seinen Erinnerungen herum. Auch in Adhams/Jûnis’ Heimatstadt ist die Zeit nicht stehengeblieben. Die Machthaber haben gewechselt. Bücher, die früher verboten waren, liegen jetzt offen herum – andere, die man früher lesen durfte, sind verboten. 

Auf seinen Wegen durch Hâmija trifft Adham alte Freunde, seine erste Liebe. Er stellt philosophische Betrachtungen zum Fluss der Zeit an. Dabei begegnet er jenem Ich, das er einst war oder geworden wäre, hätte er nicht flüchten müssen, weil er als junger Mann an einem Regierungsumsturz beteiligt war. Er spricht mit jenem fremd-vertrauten Ich namens Jûnis:

„… Die Nacht ist lang auf diesem Balkon unter einem sternenübersäten Himmel. Lang ist die Nacht hier, und wir haben sonst nichts zu tun. Unser Vater starb aus Kummer über den schlechten Ruf, den ich ihm eingebracht hatte ….“

Die Städte und Länder, die in Wohin kein Regen fällt, einem Roman von Amjad Nasser vorkommen, existieren so nicht oder sind kunstvoll verfremdet. Es sind Nirgend-Orte. Dieser Ausdruck stammt von Elias Khoury, der das Nachwort schrieb. Nirgend-Orte sind sowohl die Stadt Hâmija, mehr Wüstenfestung denn Platz zum Leben, als auch alle anderen im Exil vorgefundenen Städte. Verbundenheit mit einem Ort hat viel mit Wohlfühlen und Freiheit zu tun. Doch Adham findet weder das eine noch das andere, weder hier noch dort in befriedigendem Ausmass. Verlust der Liebsten, Verlust des Vertrauten gehen einher mit dem Verlust von Lebenskraft. 

Der aus Jordanien stammende Autor Amjad Nasser, von Haus aus ein Dichter, verwendet eine lyrisch-dichte, metaphernreiche Sprache, angereichert mit Zitaten und Geschichten aus dem arabischen und persischen Sprachraum. Metaphern spielen eine grosse Rolle: Begegnungen mit dem eigenen Spiegelbild, mehrdeutige Kalligrapien, Namensdoppelgänger sind nur einige Beispiele dafür, worum es dem Autoren. Um die Frage, wer man alles ist und wie die Situation, in die er hineingeboren wurde, den Menschen prägen.

Nun war Wohin kein Regen fällt kein Buch, das mich so richtig mit sich nehmen wollte, obwohl ich es sowohl von sprachlich, als auch vom Aufbau her bemerkenswert fand. Wahrscheinlich lag es daran, dass ich die Geschichte als nimmer endende Klage empfand. Daran ändern konnten komische Sequenzen nichts, denn stets ging es um Vergänglichkeit. Nicht umsonst endet die Geschichte mit einem Friedhofsbesuch. Aber sicherlich kommt dieser Roman in meine Büchergestell-Abteilung „Unbedingt nochmals lesen“.

Titel: Wohin kein Regen fällt, Romangebunden, 307 Seiten

Autor: Amjad Nasser, aus dem Arabischen von Regina Karachouli, mit einem Nachwort von Elias Khoury 

Verlag: Lenos Verlag, 2020, http://www.lenos.ch

ISBN 978-3-03925-001-1, Fr. 31.00/Euro 24.80

Kurzbeschrieb/-bewertung: Zwanzig Jahre Exil und Rückkehr in die alte Heimat: Adham hat versucht, sich zwanzig Jahre lang von seiner Kindheit und Jugend zu befreien. Als kranker, in sich zerrissener Mann kehrt er heim und erkennt sich nicht in seinem Spiegelbild. Roman über die Macht der Zeit. Poetisch, bildhaft, tieftraurig, anklagend, einfühlsam, warmherzig. Diesen Roman muss man sich aber erarbeiten. 

Für wen: Wen es interessiert, was Exil einem Menschen abverlangt, ist hier gut bedient.

Flucht ist kein Garant für Glück

Nashim ist krank. Sie wird bald sterben. In Schweden, einem Land, in dem sie jahrzehntelange gelebt und gearbeitet hat. Nashim stammt aus Persien. Sie hat nach der Islamischen Revolution an Protesten teilgenommen. Schlimmer noch: Ihre Schwester ist wegen ihr bei einer Demonstration umgekommen. Nashim muss mit Mann und Tochter Aram fliehen. Nun quält sich Nashim: War es richtig zu fliehen und Aram in der Fremde aufzuziehen?

Was bleibt von uns ist der Roman der schwedischen Autorin Golnaz Hashemzadeh Bonde. Sie schreibt ihren Roman aus der Ich-Perspektive in kurzen, stossweisen Sätzen, als hätte jemand zu wenig Atem, als würde sich jemand nicht getrauen, die Gedanken schweifen zu lassen. Das passt durchaus zu dieser Geschichte, in welcher es um eine tödliche Krankheit geht und um eine Menge unschöner Erinnerungen.

Die schwermütigen Lieder der persischen Sängerin Googoosh spielen innerhalb der Story eine kleine, wenn auch wichtige Nebenrolle. Googoosh selber reiste von Amerika, wo sie sich aufhielt, als 1979 die Revolution ausbrach, in den Iran zurück und wurde als Frau prompt mit einem Auftrittsverbot belegt. Erst nach 2010 kehrte sie auf die Bühne zurück. Somit ist sie das genaue Gegenteil von Nashim: Googoosh hat die Leiden ihres Landes und ihrer Landsleute mitgelebt, -erduldet. Damit wird sie für Nahid zu einer Symbolfigur. Denn Nahid hat sich ein Leben lang gefragt, ob der Preis, den sie für ihre Flucht bezahlt hat, nicht zu gross war. Sie hat ihre Mutter, ihre Schwestern, alles Bekannte zurückgelassen, nur um in Schweden festzustellen, dass es ihr nicht gelingt, dort Wurzeln zu schlagen.

Aus Sicht des Lesers ist die Frage überflüssig: Nashim und ihr Mann hatten nur die Wahl zwischen Tod und Flucht. „Ich glaube, der Tod war immer bei mir“, stellt Nashim denn auch gleich zu Beginn des Buches fest. Es ist eine Binsenwahrheit, dass wir unsere Probleme überallhin mitschleppen. Bei Nashim ist die Last besonders gross. Sie fühlt sich schuldig am Tod ihrer Schwester Noora. Auch hat sie aus Angst vor der Folter Freunde verraten. Über diesen schwachen Moment in ihrem Leben schweigt sie sich aus. Die Beziehung zu ihrem Mann ist durch die Geschehnisse belastet und zum Scheitern verurteilt.

Die krebskranke Nashim hadert mit ihrem Schicksal. In der Beschreibung der Verzweiflung der Todkranken, die sich in ihrem Gefühlschaos verheddert, liegen die Stärken dieses Buches. Nahim schwankt zwischen sämtlichen Extremen: Sie ist hilflos und zornig, weinerlich und anklagend, gleichgültig und verbissen. Und dazwischen taucht immer wieder die Frage auf, weshalb es ihr nicht gelingen wollte, ein glückliches Leben zu führen.

Für meinen Geschmack schneidet der Roman etwas gar viele Themen an: Gewalt gegen Frauen, die Islamische Revolution und in deren Gefolge Folter, Verrat, Flucht etc. Dazu kommen der Verlust des Gefühls, zu Hause zu sein, der Eindruck, auf allen Linien versagt zu haben, eine tödliche Krebserkrankung sowie das Abschiednehmen vom eigenen Leben. Dieser Fülle an Themen, von denen jedes an sich schon buchfüllend wäre, kann die Autorin auf 219 Seiten natürlich nicht gerecht werden.

 

Titel: Was bleibt von uns, Roman, aus dem Schwedischen von Sigrid C. Engeler, gebunden, 219 Seiten

Autorin: Golnaz Hashemzadeh Bonde

Verlag: Nagel & Kimche, Zürich 2018, http://www.nagel-kimche.ch,

ISBN 978 3 312 01089 9, Fr. 29.90/Euro 20.–

Kurzbewertung: Ziemlich glaubhaft und eindrücklich scheint mir dieser Roman dort, wo es um die Gefühlslage von tödlich erkrankten Krebspatienten geht. Einigermassen erhellend auch zu lesen, weshalb es manchen Immigranten nicht gelingen will, nicht gelingen kann, in ihrem Gastland anzukommen.

Für wen: Es handelt sich um eine gefühlig geschriebene Geschichte. Also für alle LeserInnen, die das gerne mögen.