Wer wie ich gerne koreanische Filme schaut, dem sind sie schon begegnet: diese makellos glatten Gesichter, diese Barbies, durchgestylt, massiert, in Form gebracht von den Haarspitzen bis zu den Zehennägeln, gekleidet in hautenge Kostüme, die eigentlich nichts anderes tun, als das Fehlen jeglicher Speckröllchen zu betonen. In den Filmen selber wird gecremt und geschmiert, was das Zeug hält. Selbst Grossmütter versuchen, mit Dreissigjährigen mitzuhalten und werden gelobt, wenn sie – von hinten – wie solche ausschauen. Natürlich haben die Filmfiguren auch einen tollen Job in einer der «grossen Firmen». Daneben schlemmen, feiern und trinken sie wacker Soju – und das nicht zu knapp.
Beim Zuschauen kommt einem bald der Verdacht, bei diesem ganzen schönen Schein gehe es nicht mit rechten Dingen zu und her. Allein schon die Frage, wie das alles –Schönheitspflege, Job, Familie, Feiern – zeitlich aufgehen soll, überfordert mich. Und gibt es denn in Korea nur schöne Menschen? In den Filmen kommen auch ein paar übergewichtige Figuren vor: Fischverkäufer, Bäuerin, alte Jungfer. Erfolglos. Ungebildet. Selber schuld. Hätten sich ja mehr bemühen können. Kinder werden behandelt wie kleine Erwachsene: auf Leistung in der Schule getrimmt, Tränenvergiessen kommt nicht in Frage. Mit Spott überschüttet wird, wenn sich so ein Kind kindlich benimmt.
Filme und Romane entspringen der Phantasie, könnte man einwenden. Doch ich behaupte: die Phantasie nährt sich aus dem, was die Augen beobachten und spiegelt demnach die Realität.
Und damit wäre ich bei dem Roman von Frances Cha, der dieser Tage beim Unionsverlag unter dem Titel Hätte ich dein Gesicht erscheint. Die Autorin lebt zwar in Amerika und Seoul. Wer ihren Lebenslauf googelt, entdeckt auch das Bild einer schönen Frau, die einer koreanischen Serie entsprungen sein könnte. Oder eben dem entspricht, was heutzutage Verlage suchen: junge Frau mit Sexappeal, die schreiben kann und von der man durchaus noch ein paar Bücher erwarten darf.
Im Roman Hätte ich dein Gesicht taucht der Leser ein in das Leben von Ara, Kyuri, Sujiin, Miho und Wonna. Fünf noch junge Frauen auf der Suche nach einem Weg, ein wenig glücklich zu werden. Ara stammt aus einfachsten Verhältnissen. Sie ist nach einem Überfall verstummt und wird demnach als behindert betrachtet. Kyuri arbeitet in einem Room Salon. Sie trinkt nächtelang mit Männern, sie ist gesundheitlich angeschlagen, das Geld rinnt ihr durch die Finger. Ihr ganzes Glück sind die Handtaschen, die ihr ihre Stammkunden gelegentlich schenken. Sie ist verliebt in Bruce, einen Kunden. Auch ihre Freundin Sujin möchte in einem Room Salon arbeiten, doch die Augen-OP, die sie sich hat machen lassen, ist nicht geglückt. Das hält sie aber nicht davon ab, sich auch den Rest ihres Gesichts zurechtmeisseln zu lassen. Um diesen Schritt zu machen, muss sie sich aber blind stellen, sonst würde sie die Verzweiflung in den Augen ihrer Freundin Kyuri sehen. Miho wiederum ist Künstlerin und hat sich in einen reichen Mann verliebt. Seine Familie wird sie nie als Schwiegertochter akzeptieren. Wonna ist verheiratet. Allerdings hat sie Mühe ein Baby zu bekommen. Dies belastet sie und ihre Ehe.
Frances Cha beschreibt eine Gesellschaft, in welcher Aufstieg zwar erwünscht, ja geradezu gefordert wird. Erfolg ist jedoch an allerhand Bedingungen geknüpft. Ein geradezu unmenschlicher Fleiss ist das eine. Doch der nützt wenig, wenn jemand nicht die richtigen Schulen besucht, die richtigen Beziehungen oder Familienbande plus Geld hat. Zweite Bedingung ist eine makellose Erscheinung nach einem geradezu unmenschlichen Schönheitsideal. Drittens der Wille, sich zu unterwerfen: der Firma, dem Chef, den Gebräuchen, den Männern. Codes sind allgegenwärtig. Über das was schief läuft oder laufen kann, wird nicht gesprochen. Fehler gehören nicht an die Öffentlichkeit, noch nicht einmal in den Freundeskreis. Und wo Probleme verschlossen werden, kann auch keine Frage auftauchen, wie man die Dinge ändern, verbessern könnte. So strampelt jeder und jede vor sich hin.
Wie einsam so ein Leben inmitten einer Grossstadt wie Seoul sein kann, zeigt Frances Cha in ihrem Roman auf. Sie lässt jede ihrer Figuren einzeln zu Wort kommen. Schicksale tun sich auf, die sprachlos machen. Doch, manchmal ist auch Freundschaft zu spüren, doch letztlich ist die Tristesse der fünf Frauen überwältigend. Die Geschichte lässt offen, wem es gelingt, sich zu einem glücklicheren Leben durchzuwursteln. Man kann nur hoffen, die fünf Frauen finden einen Weg, die Fesseln abzuschütteln und gemeinsam der rigiden Gesellschaftsordnung eine lange Nase zu drehen.
Autorin: Frances Cha
Titel: Hätte ich dein Gesicht, Roman, übersetzt aus dem Englischen von Nicole Seifert
Verlag: Unionsverlag, 2022, gebunden, 285 Seiten
ISBN 978-3-293-00586-0, 23.– Euro/31 Franken
Kurz zusammengefasst: Das perfekte Gesicht, den perfekten Körper, die perfekte Familie, den perfekten schulischen Abschluss, den perfekten Job. Danach strebt in Seoul jede und jeder. Aber Gott macht bei der Verteilung der Gaben Fehler. Diese Fehler müssen ausgebessert werden. Nur dann gelingt es: das perfekte Leben.
Für wen: Alle, die schon mal von einer Schönheits-OP gedacht haben, aber sie sich nicht leisten können.