Retour du jour, Perros-Guirec, 12. Mai

Heute entstieg Tarzan dem Meer

Auf seiner Haut perlte das Wasser, floss

zögernd den Muskelsträngen entlang

Es klebte das Beinkleid an seinem Gesäss

Wie er so ging, ganz aufrecht, ein Bild

gemacht für Götter und für den Louvre

Doch dann war es doch nur Jean-Luc

Jean-Claude oder Yann und der nächste Tarzan,

der ins Wasser stieg, befand es zu kalt

Retour du jour, Perros-Guirec 11. Mai 2022

Rennes oder

Wo ist hier das Zentrum?

Ganz oben, dort wo die gotischen Säulen enden,

ein versprochener Himmel.

Gegenüber der Kirche ein Pissoir für die, die sich gerne

an Ecken erleichtern. Und dann:

Plätze, Cafés, ein Markt, die Regierung, Bücher

und uraltes Fachwerk. Ein Karrussell.

In den Geschäften wird fleissig gegähnt.

Nur die kleine Kellnerin,

die mit den zwei neckischen Stummel-

schwänzchen auf dem Kopf,

rennt mit Kaffee und Dessert von vorn nach hinten

und lächelt, da möchte man gleich

ein Tänzchen wagen,

eine mexikanische Band spielen lassen,

so lieb ist die, derweil die Köche vielsagend

über die Theke hinweg 

eine afrikanische Schönheit

mit langen Stielaugen 

o la la, na was wohl

Doch die Schöne hat nur Augen 

für ihren Beau, auf den sonst keine 

einen Eurocent gäbe

Retour du jour/ Perros-Guirec 9. Mai

8. Mai, in Frankreich Gedenktag zum Ende des 2. Weltkriegs

Schon schön, dieser Planet.

Der Strand hier ist schön.

Der Sand ist schön

    weich, manchenorts glatt, dann wieder gerillt

            rosa und silbern.

Das Wetter seit Tagen nichts als schön. 

Der Sonnenuntergang, wirklich schön.

Schön, die Wellen, 

ein bisschen stur vielleicht, 

oder gerade deshalb schön.

Kein Bar offen: 

schade, aber schön und gut.

Die Möwen im Flug: schön.

Die Tauben, ihr Gurren 

vor dem Fenster ganz schön 

nervig.

Aber sonst

alles sehr schön.

Am 9. Mai soll es noch schöner werden.

Retour du Jour/Perros-Guirec, 7. Mai

Auf dem Trockenen sehen die Boote verloren aus

als hätten sie schon das Dümpeln verlernt

Es bräuchte ein starkes Fernrohr

zu sehen, was nicht zu sehen ist:

Die grossen Schiffe ziehen draussen 

Manchmal ist ein Tag gerade voll genug

Dünensand, Glitzerbucht, Stechginster 

Wie lange dauert es, bis man das Sehenswürdige gesehen hat,

das Offensichtliche normal wird?

Retour du jour/ Perros-Guirec 5. Mai 2022

Vallées de Traouiero:

Vokale zum Stolpern durch Grün

Verzaubert von Feen

Irrst du dich im Heimweg

Ach, hättest du ein paar Brotkrumen eingepackt

Auf den Pfad der Erkenntnis

Jetzt steht der Bleistift still:

Über dem Blatt eine Gegenwart

von Schatten, licht, begleitet 

von blaublüh Gebimmel

Retour du jour, Perros-Guirec 3. Mai 2022

Schnell unterwegs hier das Wetter

Nimmt die falsche Richtung

Aufs Meer hinaus ein Wirbel

Beim rosa Leuchturm Granittürme bestaunt

Draussen ein Segelschiff

Eine Chantal getroffen, Hündchen im Arm

Mit Rotkehlchen drei Pfiffe gewechselt

Das Gefieder geputzt

Neben Sandburgen ein Seevogel, tot

Um acht holt ihn wieder das Meer

Mit etwas Mühe

Sind die Menschen wegzudenken

Catch oft the day / Perros-Guirec, 2. Mai 2022

Jolanda Fäh

Gerade bewölkt

Das tägliche Sandbild fehlt

Das Meer hat sich für Stunden verzogen

Sind Zweifel im Rufen der Möwen

Und ärgerlich die Antwort der Amsel

Kein Freiraum zwischen den Katamaranen

Von irgendwoher hergetrieben

Samenkapseln, gefüllt mit Magie

Die Alte aus unserem Haus

Mit Jackentaschen voller Krümel

Va a se promener

Eigentlich wollen Bienen nichts als Honig sammeln

Der Autor Andrej Kurkow gehört ab sofort zu meinen schreibenden Lieblingszeitgenossen. Sein Roman Graue Bienen erzählt von den Menschen in einem Kriegsgebiet und ihren Überlebensstrategien. Der Roman ist nicht nur wichtig für diese Zeit, sondern gleichermassen literarisch hochstehend. Ausserdem so anschaulich, als hätte man statt gelesen, einen Film geschaut. Und gerade jetzt ist es angesagt, sich noch einmal die Anfänge des Ukrainekonflikts zu vergegenwärtigen.

Zur Geschichte: Was der Mensch nicht sehen und hören will, hört und sieht er nicht. Und so hat es Sergej Sergejowitsch geschafft, die Geräusche des Krieges, der sich seit drei Jahren in Sichtweite seines Häuschens abspielt, zu ignorieren oder als Teil des Alltags wahrzunehmen. Viel mehr als über Geschützdonner regt er sich über den einzigen Menschen auf, der gleich ihm im Dorf ausharrt: Paschka Chmelenko. Paschka ist sein Feind aus der Kindheit, ausserdem hält sich Paschka an die prorussischen Kämpfer. Vielleicht nicht aus wirklicher Sympathie, aber sie versorgen ihn mit Fleisch, Brot und Wodka. So richtig auf eine Seite mag sich keiner der beiden schlagen­; ihre Neigung zu der einen oder anderen Partei hängt bei Paschka und Sergej, so scheint es, davon ab, wo ihr Haus im Dorf steht: Sergejs Garten schaut auf die ukrainischen Schützengräben hinaus, Paschkas auf die Unterstände der Separatisten. 

Es ist dieser feine ironische Unterton, der nichts benennt, aber alles sagt, der mir an diesem Buch besonders gefällt und die schlichte Wahrheit, die dahintersteckt. Was interessiert gewöhnliche Menschen die Politik? Wichtig ist ihnen, dass sie ihr Leben in Ruhe weiterführen können, dass das Handy geladen und der Kohlekeller voll ist, dass man sich ins Nachbardorf begeben kann, ohne auf eine Granate zu treten. Welche Absurditäten die Politik mit sich bringt, sei an folgender Buchszene veranschaulicht:

Eines Abends bekommt Sergej Besuch vom ukrainischen Soldaten Petro. Petro erzählt, dass jetzt in Kiew die Strassen umbenannt würden. Sergej gefällt die Idee. Er macht sich eines Nachts auf, die Schilder der zwei Dorfstrassen auszutauschen: aus der Leninstrasse wird nun die Schewtschenko-Strasse und umgekehrt.

Alles in allem verläuft der Tag im Dorf eintönig. Sergejs Sorge gilt seinen Bienen, die nach dem Winter wieder ausfliegen wollen. Seine Bienen sind ihm das Wichtigste, und er macht sich eines Tages trotz aller Unwägbarkeiten auf die Reise. Bis seine Bienen ausfliegen können, muss er allerdings ein paar Kontrollposten passieren und viele Fragen beantworten. Er begegnet hilfsbereiten Menschen, geniesst eine Liebschaft, bekommt die Bösartigkeit von Funktionären zu spüren. Und er findet auf dem Heimweg auch Petros explosives Gastgeschenk wieder, das der im Wodka-Suff verlegt hat. 

Grosse Literatur aus einem Gebiet, das seit 2014 in einem schwelenden regionalen Konflikt feststeckt, der sich 2021 zu einem Krieg ausgeweitet hat, der mittlerweile kaum mehr jemanden ruhig schlafen lässt. Ganz egal, wie weit der Geschützdonner weg ist. Und alles nur, damit wieder ein paar Strassen umbenannt werden? Oder weil ein paar zu klein geratene Männer als Monster in die Geschichte eingehen wollen?

Titel: Graue Bienen, Roman, 445 Seiten, Paperback

Autor: Andrej Kurkow

Verlag:  Diogenes, 2021

ISBN 978-3-257-24554-7, 13.­– Euro/17.– Franken

Kurz zusammengefasst: Ukraine im Krieg, ein paar Jahre zurück. Zwei Männer, der Bienenzüchter Sergej und Opportunist Paschka, harren auf sich allein gestellt in ihrem Dorf zwischen den Fronten im Donbass aus. Über ihre Köpfe hinweg fliegen die Geschosse, manchmal schlägt im Dorf eines ein. Was den beiden beim Überleben hilft ist Sturheit, Nihilismus, Nachbarschaftshilfe und die Erfahrung, dass irgendwann jedes Regime durch das nächste abgelöst wird. Nah an den Menschen, nahe an der Zeit, literarisch ein Highlight.

Für wen: Alle. Dieses Buch zu lesen, wird niemanden reuen.