Laura Freudenthaler hat sich in ihrem Roman Die Königin schweigt mit der Generation ihrer Grosseltern auseinandergesetzt. Die Hauptfigur, Fanny, wächst in einem Bergdorf auf. Hier wird gearbeitet und geschwiegen. Das Fanny-Kind zieht es unter der Bank in eine stille dunkle Ecke, von wo es über Gerüche und Geräusche die Welt in sich aufnimmt. Später heiratet Fanny den Dorflehrer, der eines Tages nicht mehr von einem seiner Ausgeh-Abende zurückkehrt. Das grosse Glück war diese Ehe nicht. Doch Fanny hat früh gelernt, dass das Unglück einem überall findet, auch wenn man sich in Ecken verkriecht und sich still verhält. Die junge Frau zieht mit ihrem Sohn weg vom Dorf. Weg vom Geschwätz der Leute und den Erinnerungen. Das Unglück lässt Fanny aber nicht aus den Augen.
Eigenartig, wie oft mich dieser Roman an meine Mutter und ihre Vorstellungen erinnerte. An ihr Lebensleitmotiv, das über allem stand, was sie tat oder sein liess: Was würden auch die Leute sagen. Auch meine Mutter hatte das Schweigen von klein auf gelernt. Als wäre das Reden über Erlebtes ein Makel. Weshalb vom Unglück reden, wo es doch alle am Wickel hatte. Und über Glück schon gar nicht, wegen des Neids. Dann doch besser über andere reden. Wer besucht wen und aus welchen Gründen? Wer bezahlt seine Rechnungen nicht? Wer hat die Witwenkleidung abgelegt, obwohl noch kein Jahr um ist? Dabei gut aufpassen, was man den anderen über sich selbst verrät. Und immer die Wäsche nach Plan aufhängen, denn was würden die Leute sagen, wenn der Büstenhalter vergnügt neben einem Paar Männerunterhosen im Wind getanzt hätte.
Allgegenwärtige soziale Kontrolle. Und Selbstkontrolle. Vielleicht noch ein Vermächtnis einer Gesellschaft, die die Kriegsjahre und ihre Überwachungssysteme miterlebt hat.
Doch zurück zum Buch: Aus dieser Geschichte kommt einem eine eigenartige Schwermut, viel Schattenhaftes entgegen. Als läge das meiste im Halbdunkel. Das Motiv des unter der Bank kauernden Mädchens, das überdies in einem Schattenwinkel gross wird, zieht sich so durch den ganzen Roman. Dialoge sind praktisch keine vorhanden, am ehesten noch indirekte Rede. Die Sprache nüchtern, sachlich, unverstellt, bildhaft.
Nicht klar ist mir geworden, wer hier eigentlich erzählt. Fanny, die im Alter über ihr Leben nachdenkt? Oder ihre Enkelin, oder gar eine auktoriale Erzählstimme? Eine Mischung aus allem? Die Frage ist insofern berechtigt, als Fanny auf die bohrenden Fragen der Enkelin ja keine Antworten liefert. Das sagt ja schon der Titel aus: Die Königin schweigt.
Titel: Die Königin schweigt, Roman, 206 Seiten, Paperback
Autorin: Laura Freudenthaler
Verlag: btb, 2019
ISBN 978-3-4421-71705-7, 10.– Euro/12.40 Franken
Kurz zusammengefasst: Ein lohnenswertes Buch, das uns etwas über die Kriegs- und Nachkriegsgeneration verrät. Freudenthalers hat ein besonderes Gespür für Stimmungen, Schattierungen und Gefühlslagen, die nicht einmal der betroffenen Person ganz klar sind. Eine sensible Annäherung an die Generation von Frauen vor uns.
Für wen: Wer seine Mutter oder Grossmutter und ihr stoisches Ertragen von widrigen Lebensumständen noch nicht verstanden hat, ist damit sicher bestens bedient.