Papier ist geduldig – aber wer hält das aus?

Es kann einem schon mal die Sprache verschlagen beim Blick in heutige Zeitungen. Neuere Begriffe wie Häppchen- oder Verlautbarungsjournalismus oder gar Fake News sagen viel aus. In meiner Jugend hatte jedes Tal seine eigene Zeitung (es gab sogar den Begriff Blätterwald) ­– heutzutage geben wenige Konzerne ein paar Erzeugnisse heraus. Statt mit Meinungen Features, Leitartikeln, Hintergrundartikeln oder Reportagen füllen diese ihre Seiten lieber billig mit Belanglosigkeiten, Kreuzworträtseln, Wetterprognosen, Sportresultaten … und wundern sich, wenn die Leser dafür kein Geld ausgeben wollen. 

Nun nützt natürlich das Gejammere nichts. Informationen gibt es genügend, nur ist es um einiges schwieriger geworden, diese zu filtern, zu prüfen und zu analysieren. Mir helfen in dieser Sache meistens zwei Fragen: Wer steckt hinter der Info? Wer hat welche Interessen in der Angelegenheit?

Artur Kilian Vogel, der Autor von Der Zeitungsmann, dem die Sprache verloren ging, war selber Journalist. Auch er hat das Fällen des Schweizer Blätterwaldes hautnah miterlebt. Seine Erfahrungen dürften ihn weitgehend zu diesem Roman inspiriert haben. 

Zur Story: Chefredakteur Strittmatter sitzt an einem Novemberabend allein in seinem Büro, ein Glaskasten mit Blick aufs Grossraumbüro, wo noch ein paar Computer flimmern. Das Flimmern täuscht, denn heute erscheint Strittmatters letzter Leitartikel. Sein Blatt geht unter. Keiner braucht den alternden Chefredakteur mehr; nach all den Jahren, die Strittmatter für die Zeitung und die Leser unterwegs war. Strittmatter passt nicht mehr in die heutige Zeit, und schon gar nicht kommt er mit der Art klar, wie heute Zeitungen designt und «abgefüllt» werden. 

Es ist dies eine Geschichte der Erinnerungen und der Abrechnung mit sich selber. Welchen Platz hat man im Leben eingenommen, was bleibt zurück von einem Lebenswerk, wo und wen hat man geliebt und vor allem: Von wem wurde man wiedergeliebt? Es sind Erinnerungen auch daran, wie noch vor wenigen Jahrzehnten Zeitungen gemacht  wurden, wie man sich als Schreiberling das erste Zeilengeld verdiente, wie man sich hinaufarbeitete. Strittmatter wühlt sich einen Abend lang durch alte Ordner, geht seiner eigenen Geschichte anhand alter Zeitungsartikel nach, wühlt sich durch vergilbtes Papier. Er war lange als Kriegskorrespondent tätig. Doch jetzt fragt er sich, was von diesem Leben zwischen Terror, schnellem Sex, beruflichem Anspruch und der Suche nach Glück geworden ist. Was bleibt? Ein paar Ordner und die schmerzliche Erinnerung an eine Frau, die er nicht halten konnte. 

Es ist eine Geschichte voller Wehmut, teilweise etwas larmoyant, was natürlich Strittmatters grosszügigem Alkoholkonsum in diesen Stunden zuzuschreiben ist. Hier ein Textauszug:

«Nein, Strittmatter sei ehrlich! Jetzt, in diesem Moment der Wahrheit, kannst du ehrlich sein; du brauchst dir nichts mehr vorzumachen. Du hast die Chancen nicht genutzt; du hast nur Altpapier produziert, für das sich niemand mehr interessiert. Zwar hast du einen Ruf gehabt, damals, als du noch Journalist warst und nicht der Ausführungsgehilfe des publizistischen Niedergangs und der Verwalter der wirtschaftlichen Misere wie heute. Aber du hast diesen Ruf nicht verdient. Hat vielleicht, hat wenigstens diese eine Reportage überlebt, irgendwo? Und könnte sie eines Tages wieder auftauchen…»

Die Stärken des Romans liegen klar in den realistischen Schilderungen der Wirren, in denen sich Kriegsreporter bewegen mit verheerenden Auswirkungen auf die vermeintlich unbeteiligten Berufsleute der Informationsbranche. Vogel konnte hier eindeutig aus seinem reichen Erfahrungsschatz schöpfen. Beinahe schon vergessene Konflikte tauchen vor des Lesers Auge auf und man kommt nicht umhin, sich zu fragen, wie es der Mensch immer wieder schafft, solche weltbewegenden Schrecknisse zu verdrängen oder zu vergessen. In seinem Nachdenken über die Vergangenheit springt Strittmatter von Explosionen zu Flirts, von Begegnungen mit politischen Akteuren zu Liebesabenteuern.

Titel: Der Zeitungsmann, dem die Sprache verloren ging, Roman, 285 Seiten, gebunden

Autor: Artur Kilian Vogel

Verlag:  Cameo, Bern, 2021

ISBN 978-3-906287-87-4, Fr. 29.90, Euro 29.-

Kurz zusammengefasst: Chefredakteur Strittmatter lässt sein Leben episodisch an sich vorüberziehen. Weinseligkeit kommt keine auf. Dafür stellt sich Strittmatter seiner Vergangenheit. Der Abend endet mit einem grossen Feuer.

Für wen: JournalistInnen mit einem Idealbild von diesem Beruf und anderen, denen es ab und zu die Sprache verschlägt.

Veröffentlicht von

Jolanda Fäh

Journalistin, Autorin, Lektorin, Herausgeberin

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