Was nicht sein darf und dennoch ist

Anna Sterns neuer Roman das alles hier, jetzt. wird von der Presse gelobt. Meine Meinung dazu fällt etwas weniger enthusiastisch aus, wenn ich auch die Autorin für die von ihr gewählten sprachlichen Wagnisse  respektiere.

Zur Geschichte: Ananke ist tot; weshalb erfahren wir als Leser nicht. Anankes Freundeskreis jedenfalls reagiert über die Massen verstört. Hätte man etwas tun sollen, als noch Zeit war, und wenn ja was? Die Trauer ist so intensiv, dass sich die vier Freunde eines Nachts auf den Weg machen, Anankes Grab leerzuräumen, um sich danach gemeinsam auf und davon zu machen.

Anna Stern hat ihren neuen Roman ungewöhnlich aufgebaut. Auf den linken Buchseiten beschreibt sie die Ist-Situation aus der Sicht von Anankes bester Freundin aus Kindertagen. Der Tod der jungen Frau und die Fragen dazu werfen ihre Freunde aus der Bahn. Auf den rechten Buchseiten werden Kindheitserinnerungen ausgerollt: Badeausflüge, Gespräche, Spiele, Landschaften, Familienfeiern, Partys. Im letzten Teil der Geschichte hebt die Autorin diese Methode auf: Die Story endet in einem Road-Trip der speziellen Art.

Was gefällt mir an diesem Buch: 

Anna Stern schreibt konsequent in Kleinschrift, ein Verfahren, das ich bevorzugen würde, das aber bei der letzten Rechtschreibereform keine Gnade fand. Eine verpasste Chance, doch wenn jetzt junge Autoren Kleinschrift propagieren, kann ich sie nur anspornen, damit weiterzufahren. 

Die Autorin erzählt meist in kurzen Sätzen, sehr bildhaft. Ihre Sprache ist knapp (manches mal allzuknapp).

Im letzten Drittel des Buchs nimmt die Geschichte im wahrsten Sinne des Worts Fahrt auf, wird leicht abstrus und gewinnt dadurch. 

Was gefällt mir weniger: 

Die ersten zwei Drittel der Geschichte sind voll dem Schmerz und den Kindheits- und Jugenderinnerungen gewidmet. Etwas gar viel Lamento für meinen Geschmack. 

Die Figuren in diesem Roman tragen durchgehend Namen wie Cato, Vienna, Eden, Ash, Egg, Vaska, Roan. Ich fand es mühsam, mir diese Namen zu merken oder die Stellung der zugehörigen Figuren innerhalb des Romans. Was die Autorin zu dieser seltsamen Namenswahl getrieben hat, hat sich mir nicht erschlossen. 

Ein weiteres Stilmittel, mit dem ich wenig anfangen kann: Nicht fertig geschriebene Sätze. Beispiel:

es dürfte keinen geben, es dürfte nicht sein, dass ananke bereits. dass ananke bereits nicht mehr.

Ja, ich weiss, dass wir manche Sätze nur andenken, nur ansprechen, und ich akzeptiere solche Verkürzungen auch, sofern man sie nicht überstrapaziert.

Anna Stern schreibt eigentlich kompromisslos. Leider findet sich in ihrem Roman auch einiges an Pathetik, etwa in der Art:

 oder sie (die freundschaft zu ananke) vibriert in dir, in deiner mitte, deinem innersten, wenn das dunkel wie eine samtene decke über deinem entblößten ich liegt und du den atem anhälst. 

Oder:

eure tränen fallen in den abgrund zwischen tag und nach und werden zu sternen, die in der dunkelheit leuchten.

 Das ist mir schlichtweg zuviel des Guten.

Titel: das alles hier, jetzt., Romangebunden, 239Seiten

Autorin: Anna Stern 

Verlag: Elster & Sali, 2020, http://www.elstersalis.com

ISBN 978-3-03930-000-6, Fr. 24.00/Euro 22.20

Kurzbeschrieb/-bewertung: Sprachlich gewagter Roman zum Thema Freundschaft, Familie, Trauer. 

Für wen: Ernstes Thema, ernste Umsetzung: also für Ernsthafte.

Veröffentlicht von

Jolanda Fäh

Journalistin, Autorin, Lektorin, Herausgeberin

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