In Silke Knäppers Roman Das Lieben der anderen treffen zwei problematische Persönlichkeiten aufeinander. Auf der einen Seite haben wir Psychotherapeut Simon, der es mit der Trennung von Liebe und Beruf nicht so genau nimmt und überhaupt bei schönen Frauen gerne schwach wird. Ihm gegenüber steht die Kleinkinderzieherin Helen, die an einer ausgewachsenen Borderline-Persönlichkeitsstörung leidet, klug taktiert, agiert und vor nichts zurückschreckt.
Helen und Simon sind einander auf Gedeih und Verderb ausgeliefert, nachdem Simons Frau Claire eines Nachts vom Balkon fällt, direkt vor Helens Füsse. Weder Helen noch Simon reagieren, wie man es erwarten würde: Keiner von beiden ruft Polizei oder Krankenwagen. Helen sieht ihre Chance gekommen. Nichts wünscht sich die blasse Frau mehr, als aus ihrem tristen Leben auszusteigen. Bisher gab es keinen Mann, der nicht vor ihr geflohen wäre. Doch wenn sie nun Claires Leben „übernehmen“ würde, an der Seite von Simon, dann würde alles gut werden. Doch in Simons Leben ist kein Platz für Helen, auch wenn er als Psychologe eine kleine Schwäche für angeknackste weibliche Seelen hat.
Einer der Leitsätze für Geschichtenschreiber lautet: Der Leser sollte eine der Hauptfiguren eines Romans lieb gewinnen, „mit ihr gehen“. Doch in „Das Lieben der anderen“ möchte ich weder Helen begegnen und schon gar nicht mit ihr befreundet sein, noch möchte ich je in die Praxis eines Simon Prohaska als Patientin eintreten. Dass ein Ehemann einfach an der Leiche seiner vom Balkon gefallenen Frau vorbeispaziert, um sich ein paar Drinks zu genehmigen, scheint ungeheuerlich und wird noch ungeheuerlicher, wenn man im Laufe der Geschichte erfährt, weshalb er das tat.
Also: Was das Liebgewinnen der Hauptfiguren anbelangt, lässt mich Silke Knäpper ganz schön ins Leere laufen. Dennoch und erstaunlicherweise funktioniert diese Geschichte. Zum einen ist sie einfach gut geschrieben, zum anderen wird sie von einem solide aufgebauten Spannungsbogen getragen. Immer mehr werden die Seelenk(r)ämpfe von Helen und Simon enthüllt. Gegen Ende unterläuft Silke Knäpper noch einmal die Erwartungen. Meine Annahme war, diese Geschichte ende in einem brutalen Showdown mit ganz üblem Ausgang. Ganz so schlimm ist es dann doch nicht gekommen. Schlimm genug, denn sowohl Simon als auch Helen stecken weiterhin in ihren Leben fest.
Titel: Das Lieben der anderen, Roman, 316 Seiten, gebunden
Autorin: Silke Knäpper
Verlag: Klöpfer&Meyer, 2018, https://www.kloepfer-meyer.de
ISBN 978 3 86351 4747, Euro 22.–/Fr. 32.90
Kurzbewertung: Hier tun sich seelische Abgründe auf. Ganz und gar romantikfrei. Dafür mit Krimi-Spannung und jeder Menge Freud.
Für wen: Wer schon immer mal jemanden stalken wollte, findet hier eine patente Anleitung. (Am besten abwarten, bis einem eine Tote vor die Füsse fällt!)
Ein Gedanke zu “Wild entschlossene Stalkerin trifft nicht ganz sauberen Therapeuten”