Der Liebe und unvermittelt auftauchenden Löchern kann man nicht ausweichen

Nach Was man von hier aus sehen kann ist Die Herrenausstatterin das zweite Buch, das ich von Mariana Leky gelesen habe. Die Art und Weise, wie sie sich ihren Themen nähert, erinnert mich an eine Leidenschaft meiner Jugendzeit, für die ich mein halbes Taschengeld ausgab: Lakritzschnecken. Diese meterlangen, schwarzen, unvergleichlich schmeckenden Bänder, die ich zur Hälfte ausrollte, mir ein Ende in den Mund schob bevor ich mich aufs Fahrrad schwang. Über meinen Oberschenkeln baumelte die stets kleiner werdende Schnecke hin und her. Fahrenderweise biss ich mir immer wieder ein Stück ab, kaute darauf herum, mit den Lippen hielt ich das Ende der Schlange fest. So ging es bis vor die Haustüre, dann war die Lakritzschnecke verschwunden. Nur der Geschmack blieb noch lange auf Zunge, Zähnen, im Hals.

Nun spielen natürlich bei Mariana Leky Lakritzschnecken überhaupt keine Rolle. Nicht die geringste; es ist womöglich sogar so, dass die Autorin Lakritz nicht einmal mag. Was also erinnert mich an diese Süssigkeit?

Es muss mit Mariana Lekys Art zu schreiben zu tun haben. Sie fasst ein Ding ins Auge, so gewöhnlich es auch sein mag. Dann umkreist sie es. Als  würde sie kreisend um ein Detail dieses immer von einer anderen Stelle aus betrachten. Mal von weiter weg, mal aus nächster Nähe. Und mit jedem Verschieben des Blickwinkels gewinnt sie andere Einsichten. Mit der Zeit erscheint mir dieses stete Rotieren um die Dinge als die einzig richtige Art, überhaupt etwas zu betrachten. Und Spass macht es obendrein, da ich mich gerne auf den skurrilen Witz von Mariana Leky einlasse.

Zur Geschichte von Die Herrenausstatterin: Katja Wiesberg hat ihren geliebten Mann Jakob verloren. Der Verlust fühlt sich an wie ein grosses, dunkles Loch, in welchem Katja zu verschwinden droht. Doch dann taucht Herr Blank in Katjas Badezimmer auf. Keiner kann so gut zuhören, wenn Katja schweigen will, wie Herr Blank. Sein Verständnis für Katjas Verzweiflung ist immens, seine Geduld ist von einem anderen Stern. Und dann steht plötzlich jeden Abend Feuerwehrmann Armin vor Katjas Türe. Katja, Blank und Armin gehen auf eine Reise nach Holland. Nach und nach nimmt die Anziehungskraft von Katjas dunklem Loch ab, dafür tauchen andere Löcher auf.

Mariana Leky hat ein fabelhaftes Gespür für die Absurditäten des Lebens, ihre Figuren sind einzigartig und zutiefst menschlich: Wir kennen sie alle, auch wenn wir ihnen noch nie begegnet sind. Sie lieben sich, sind manchmal verzweifelt einsam dabei. Sie führen ihr gewöhnliches Leben. Manchmal sind sie verrückt, meistens sind sie gut, tun aber manchmal das Falsche oder das Richtige auf falsche Weise. Das Leben muss irgendwie bewältigt werden, oder wie Herr Blank es ausdrückt: „Alle wichtigen Entscheidungen müssen auf der Basis lückenhafter Daten getroffen werden.“

 

Titel: Die Herrenausstatterin, Roman, Taschenbuch

Autorin: Mariana Leky

Verlag: Verlag Dumont, Köln, 2010, http://www.dumont-buchverlag.de

ISBN978-3-8321-8544-2, Fr. 15.90/Euro 11.–

Kurzbewertung: Liebe und daraus folgende Verzweiflung mit einer hübschen Prise Absurdität gemischt. Wie bei Was man von hier aus sehen kann, kommt auch hier jemand auf tragische Weise zu Tode. Müsste nicht sein, weil die Autorin auch ohne übertriebene Tragik herrlich schräg fabulieren kann.

Für wen: Lakritzschneckenschleckmäuler

Veröffentlicht von

Jolanda Fäh

Journalistin, Autorin, Lektorin, Herausgeberin

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